Historical Weihnachtsband 1993
wahrscheinlich kaum. Und doch sah Blythe keinen triftigen Grund, es zu unterlassen, es gefiel ihr ausgesprochen. Rafes Körper kam dem ihren bei diesen Liebkosungen entgegen, und ihr eigener glühte von einer solchen Erregung, die sich noch ununterbrochen steigerte. Warum hatten sie bloß so lange gewartet? Jetzt wollte sie es einfach nicht mehr. Zwar war ihr nicht klar, was heute geschehen könnte, sie wußte nur eines, nämlich, daß sie Rafe nicht verlieren wollte, nicht verlieren konnte.
„Blythe", stöhnte er.
Sie hörte darin den Widerhall ihrer eigenen Qual, ein wildes, bisher unterdrücktes Verlangen trat an die Stelle der Vernunft, die in den vergangenen Jahren die Triebfeder ihres Handelns gewesen war. Die Gefahr des drohenden Abschieds hielt der Beglückung des Wiederfindens die Waage. Nichts war mehr sicher, das Leben eine einzige Folge von Risiken, ein beängstigendes Spiel. Und mit der Liebe verhielt es sich kaum anders. Doch Blythe würde nicht darauf verzichten, es in seiner ganzen Fülle zu erfahren.
Er küßte ihre Lippen, die sie ihm bot, mit einer Leidenschaft, die beide bis ins Mark erschütterte. Er vergrub seine Hände in ihrem Haar, verfing sich in den seidenweichen Wellen. Der Kuß wurde fordernder, Rafes Zunge spielte mit ihrer, bis sie an allen Gliedern zitterte und nach mehr, nach viel mehr hungerte. Der Wechsel von Hemmungslosigkeit und Zärtlichkeit machte aus Blythe eine hingebungsbereite Frau, die dem Geliebten entgegenfieberte. Er ließ eine Hand von den Locken auf Blythes Brust hinunter gleiten, die immer noch von dem Nachthemd bedeckt war.
Sie spürte seine kraftvoll und zugleich zärtliche Berührung, die ihre Erregung steigerte, und auch sein sinnliches Verlangen stieg schier unerträglich. Als Blythe von ihrer Leidenschaft getrieben, ihn überall zu streicheln begann, reagierte sein ganzer Körper.
„Blythe, du weißt nicht, was du tust..."
„Unser Weihnachtsgeschenk, einer gibt sich dem anderen."
„Nicht so, Liebste. Wenn etwas geschähe . . ."
„Ich lasse es nicht zu, daß etwas geschieht", sagte sie hitzig, und er wußte, daß sie es ernst meinte. Und doch konnte er es nicht riskieren, daß sie weitergingen, nicht an diesem Tage und nicht auf diese Weise, nicht mit Seth im Obstkeller und seiner ungelösten Aufgabe. Natürlich begehrte Rafe Blythe, begehrte sie bis zum Wahnsinn, doch mehr noch als an der körperlichen Vereinigung war ihm an Blythes Glück gelegen, daß die Flamme der Liebe in ihr dauern und hell leuchten möge. Und er hatte Angst, unaussprechliche Angst davor, daß irgend ein Ereignis dieses Tages eben jenes Feuer für immer zum Erlöschen bringen könnte.
„Miss Blythe!" Der schüchterne Ruf einer Kinderstimme drang durch die Tür herein.
Und damit war jegliche Gefahr schlagartig gebannt, daß es zum Letzten kommen könnte.
Rafe küßte Blythe, sprang danach aus dem Bett und näherte sich dem Fenster. Mit der Vorsicht, die er - bis gestern nacht - nie außer acht gelassen hatte, spähte er hinaus, hinunter. Es gab keine Spur von Seth, keine von den Kindern oder gar von Reitern, weder Konföderierten noch Unionssoldaten. Und er hörte Blythe enttäuscht leise fragen.
„Was gibt es, Margaret?"
Jaime hat sich Sorgen gemacht um Sie."
„Bei mir ist alles in Ordnung, Kleines", versicherte Blythe und wechselte einen halb traurigen halb belustigten Blick mit Rafe. „Ich komme gleich hinunter."
Sie vernahmen Schritte, die sich treppab entfernten, und Rafe trat wieder zu Blythe.
„Frohe Weihnachten, Liebste", sagte er ernst.
Blythe konnte die Augen nicht von ihm abwenden. Noch war sein Hemd offen, und die dunkelblauen Uniformhosen spannten sich um die schmalen Hüften und an den muskulösen Schenkeln. Er strahlte männliche Kraft, unterdrückte Gewalt aus und hatte dazu etwas von der Grazie eines Tieres. Jede Bewegung war gemessen und beherrscht. Die dunklen Bartstoppeln zeichneten sich in dem hellen Morgenlicht nun deutlich ab, das in den Raum strömte. Sein Mund zuckte vor verhaltener Empfindung, und in den blaugrünen Augen verrieten sich seine Gefühle. Blythe lehnte sich an ihn, war jedoch besorgt, daß bald schon der nächste Bote vor der Tür stehen könnte. Jaime war manchmal recht hartnäckig, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Und trotzdem konnte sie sich nicht rühren, vor allem, als Rafe lächelte, zärtlich, innig und voll Verlangen lächelte. So standen sie voreinander, als hielte die Zeit inne in ihrem Lauf, Auge in
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