Historical Weihnachtsband 2010
nie versagende Navigationstalent eines Delfins und die mörderischen Instinkte eines Hais. Aber in dem ganzen kleinen, gedrungenen Kerl war keine Unze Geduld vorhanden. Nach monatelangem Aufenthalt bei Hofe hatte Drake von der Königin endlich den Auftrag erhalten, einen ersten Schlag gegen die Spanier auszuführen. Er hatte seine verlässlichsten Kapitäne nach Plymouth gerufen und sich zum Aussegeln bereit gemacht. Doch jetzt hatte er im letzten Moment seine Abreise aufschieben müssen, weil man noch auf eine Ladung Kanonenkugeln wartete.
Wie üblich hatte der Admiral seine schlechte Laune wegen der Verspätung an seinen Kapitänen ausgelassen. Glücklicherweise war Kit oft genug mit dem schlauen, alten Seebären gesegelt, um das alles nicht gar zu ernst zu nehmen. Mit der Zeit hatte Drake seine gute Laune zurückgewonnen, und stundenlang war das Bier in Strömen geflossen.
Ehrlich gesagt wartete Kit genauso ungeduldig wie Sir Francis darauf, wieder den Wind im Gesicht und die schwankenden Planken unter den Füßen zu spüren. Wie Drake hatte auch er während der letzten Monate viel zu viel Zeit bei Hofe verbracht. Eigentlich hätten ihn die belanglosen, kleinen Intrigen und Eifersüchteleien der Höflinge im Umkreis der Königin amüsiert, wenn das Ergebnis nicht so oft todbringend gewesen wäre. Wenn sie auch nicht so rachsüchtig wie ihr Vater und ihre ältere Schwester war, so hatte doch auch Elizabeth genug Männern, und Frauen zum Richtblock geschickt. Und dann hatten sie den Hieb der Axt zu spüren bekommen, wie zum Beispiel diese törichte, höchst gefährliche Königin der Schotten namens Mary.
Nein, dachte Kit und drückte die Klinke seiner Kammertür herunter. Die Intrigen bei Hofe würde er nicht vermissen noch würde er …
Er hatte erst einen Schritt in den dunklen Raum getan, da stieg ihm ein fremder, exotischer Duft in die Nase. Jäh blieb er stehen und legte die Hand an den Griff seines Rapiers. Mit verengten Augen ließ er den Blick durch das Gemach mit der niedrigen Decke schweifen, das nur schwach von der Glut im Kamin erhellt wurde.
Er folgte dem Duft bis zu dem schweren, geschnitzten Bett … und der Frau, die darin lag. Die Bettdecke bis zur Brust hinaufgezogen starrte sie ihn mit Augen, so rund wie Kanonenkugeln, an. Im dämmrigen Licht der Kammer war ihr Gesicht nur ein helles Oval. Wie ein schwarzer, seidener Umhang fiel ihr das Haar über die Schultern.
Über sehr verführerische, sehr nackte Schultern.
Da er vor Kurzem noch bei Hofe gewesen war, wo Gräfinnen wie Dienerinnen sich gleichermaßen dem freien Liebespiel hingaben, hatte Kit für die Tatsache, dass er eine fremde Frau in seinem Bett vorfand, nur ein zynisches Lächeln übrig. Jeder, dem die Königin mehr als einmal zulächelte, musste sich darauf gefasst machen, nächtliche Frauenbesuche zu erhalten. Es waren Frauen, die für sich oder für ihre Familien ehrgeizige Ziele hatten. Manchmal gefiel es Kit, ihre Angebote anzunehmen. Meistens tat er es aber nicht.
Dieses Mal …
Er betrachtete die Frau. Aus dem Halbdunkel des Bettes heraus erwiderte sie seinen Blick und leckte sich dabei nervös die Lippen. Der Anblick der kleinen, rosa Zunge erregte Kit. Beim Himmel, sie war ein appetitliches Ding. Was immer sie auch für ein Spiel spielen mochte, er beschloss, es mitzumachen.
Rasch ließ er noch einmal den Blick durch den Raum schweifen. Die kleine Reisekiste, mit der er an Land gegangen war, stand immer noch an der gegenüberliegenden Wand. Und ein Messinghaken sicherte noch immer ihr Schloss. In den dunklen Ecken verbargen sich keine heimlichen Gestalten noch zeigten die schweren Vorhänge vor den Fenstern irgendwelche verdächtigen Ausbeulungen.
Mit einem Fußtritt schloss er die Tür und schob den Riegel vor.
Bei dem Knall zuckte seine Besucherin zusammen und presste die Decke fester an ihre Brust. Bedächtig zog Kit den an seinem Gürtel befestigten Dolch aus der Scheide. Den Anblick der tödlich scharfen Klinge quittierte die Frau mit geweiteten Augen.
„Ich will Euch nichts Böses“, keuchte sie. „Das schwöre ich!“
Ihre Sprache verriet sofort, dass sie nicht zur Gruppe der Dienstmädchen oder Straßenhuren gehörte. Sie besaß aber auch nicht die affektierte Sprechweise der Damen, mit denen Kit bei Hofe verkehrte. Wahrscheinlich ist sie die Frau eines reichen Kaufmanns, dachte er spöttisch. Plymouth war voll von solchen Frauen und den Geschichten darüber, wie sie sich amüsierten, indem sie ihre
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