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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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Wehrmacht in Polen gab es nur vor Propaganda triefende Mitteilungen. Also verbreiteten sich Gerüchte, die gerade in totalitären Diktaturen wichtigsten, weil einzigen nicht vollständig kontrollierten Medien: »In Berlin sagt man sich, daß die Zahl der Verletzten hoch sein muß, wenn so viele Verletzte nach Berlin geschafft werden, obgleich die Unterbringungsmöglichkeiten in der Provinz weit günstiger wären. (…) In Berliner Nazikreisen wird von mindestens 55 – 60 000 Toten und 120 000 Verletzten an der Ostfront gesprochen. Aber auch die Zahl der Toten im Westen soll bereits 2 000 übersteigen«, meldete ein alter Sozialdemokrat an die Exilzentrale der SPD. In Wirklichkeit fielen im Polen-Feldzug rund 11 000 deutsche Soldaten, 30 000 wurden verwundet; für die wenigen Scharmützel an der Westfront im September 1939 gibt es keine gesicherten Verlustzahlen. 3
    Erst als der Feldzug in Polen entschieden war, kam Hitler am 26. September zurück nach Berlin. Ein paar Tage hielt sich in der Reichshauptstadt die Hoffnung, der befürchtete große Krieg könnte vorüber sein, bevor er richtig begonnen hatte. Der Sieg über die polnische Republik war vergleichsweise leicht gefallen. Anfang Oktober kehrten die ersten Wehrmachtseinheiten heim und wurden »fast überall von der Bevölkerung mit großer Begeisterung gefeiert. Die Truppen wurden vielfach durch Blumen geschmückt, und es wurden an sie Zigaretten, Obst usw. verteilt«, wie am 9. Oktober 1939 der streng geheime »Bericht zur innenpolitischen Lage Nr. 1« des SS-Sicherheitsdienstes (SD) vermerkte. Der ehemals parteieigene Geheimdienst überwachte nun (neben der Gestapo) als Teil des Reichssicherheitshauptamtes die deutsche Öffentlichkeit. In der zweiten Oktoberwoche kippte die Stimmung in Berlin – und zwar zugunsten des Krieges. Hitler machte am 6. Oktober in der Krolloper den Westmächten ein bewusst als unannehmbar konzipiertes »Friedensangebot«, in dem er unter anderem die Anerkennung der Zerschlagung Polens und die Rückgabe der deutschen Kolonien verlangte. Befördert wurde der Stimmungsumschwung durch das Wetter, denn der Oktober zeigte sich von seiner besten Seite. Es war sonnig und warm. Aber natürlich lagen die Ursachen tiefer: Der offensichtliche Unwillen der beiden Großmächte Frankreich und Großbritannien, ihren Kriegser klärungen vom 3. September Taten folgen zu lassen und Deutschland anzugreifen, sowie die Erinnerungen an Hitlers frühere Coups, zum Beispiel die Besetzung des Rheinlandes 1936, den »Anschluss« Österreichs
    1938 und die »Zerschlagung der Rest-Tschechei« vor gerade einem halben Jahr, nährten nach dem Triumph über Polen Hoffnungen. Als am
    11. Oktober das Gerücht aufkam, der britische Premier Chamberlain sei gestürzt, sollen Marktfrauen »vor Freude mit Kohlköpfen« um sich geworfen haben, berichtete der Berlin-Korrespondent der Hera ld Tribune. Mit diesem Gefühl gingen die meisten Berliner und Deutschen in den ersten Kriegswinter. Die Exil-SPD konnte sich das nur mit der »Allmacht der Propaganda« erklären, musste aber doch widerwillig einem Bericht aus Berlin zustimmen: »Die große Masse hält Deutschlands politische Situation durchaus für günstig.« Einen fast identischen Eindruck gewann auch der SD: »Die Stimmung in der Bevölkerung ist weiterhin im allgemeinen ruhig. Vereinzelt wird das Ausbleiben größerer Kampfhandlungen als eine ›Ruhe vor dem Sturm‹ ausgelegt und für die nächsten Tage der Beginn einer großen Offensive erwartet. Die Meinung wirkt sich stimmungsmäßig kaum aus.« 4
    Hitler war im Herbst und Winter 1939/40 überwiegend in Berlin. Er inszenierte sich in der Neuen Reichskanzlei, empfing Delegationen der Partei, drängte seine Generäle, noch im November an der Westfront loszuschlagen, ließ schließlich aber wegen des Wetters davon ab. Nur einige Male verließ der Staatschef seine Regierungszentrale: zum Beispiel am 5. Oktober zur Siegesparade in Warschau, am 8. November zur alljährlichen »Gedenkrede« für den Putsch von 1923 im Münchner Bürgerbräukeller (bekannt geworden ist dieser kurze Abstecher wegen des missglückten Bombenattentats von Georg Elser), vom 23. bis 25. Dezember zum Truppenbesuch an der Westfront und über den Jahreswechsel zum Obersalzberg. Öffentliche Auftritte in der Reichshauptstadt gab es bis zum 30.Januar 1940 nicht, dafür aber einige Empfänge für »verdiente Volksgenossen« in der Neuen Reichskanzlei. Trotzdem blieb Hitler in der Öffentlichkeit

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