Hitzetod
er sich und ging.
Zu Hause in seiner Wohnung machte er die Tür hinter sich zu und hob eine Reihe von Rechnungen, Werbebriefe und einen kleinen gepolsterten Umschlag, in ungelenken Blockbuchstaben mit seinem Namen und seiner Adresse beschriftet, von der Fußmatte auf. Er warf die Post auf einen kleinen Tisch und begab sich in sein Wohnzimmer, durch dessen Fenster die Abendsonne, immer noch heiß und hell, hereinströmte. Er zog die schweren Vorhänge zu. Obwohl er sein Jackett ablegte, begann er in dem Raum, der jetzt noch mehr zur Sauna wurde, zu schwitzen. Er öffnete den gepolsterten Umschlag und zog eine DVD heraus. Nachdem er sich seiner Krawatte entledigt hatte, ging er zum DVD-Player, nahm die darin befindliche DVD, Sündige Schwestern , heraus und schob die unbeschriftete neue hinein. Dann goss er sich ein großes Glas Whisky ein und drückte auf Play.
Für einen Moment flimmerte weißes Rauschen knisternd über den Bildschirm, dann verschwand es. Neugierig auf die DVD, lehnte Delaney sich in seinem Sessel zurück.
Jetzt war eine statische Aufnahme zu sehen, gefilmt mit einer hochwertigen Kamera. Ein viktorianisches Wohnzimmer. An den Fenstern dicke Vorhänge, die über Spitzengardinen zugezogen waren, nur durch einen schmalen Spalt fiel ein goldener Strahl diffusen Sonnenlichts in den Raum. Ein Klavier mit alten Fotos in silbernen Rahmen darauf; der Fußboden aus dunklen, aber glänzend polierten Massivholzdielen. Dunkle Möbel im Hintergrund, eine Vitrine auf zierlichen, gedrechselten Füßen, ein Sideboard mit Türen im gotischen Stil. Ein Blumenständer mit einem weißen Keramikübertopf darauf, aber ohne Blumen.
Und Musik. »Pie Jesu«. Mit unbewegtem Blick starrte Delaney auf den Fernseher, dessen zuckendes Licht in seinen Pupillen tanzte und sich spiegelte, während er ohne innere Regung einen weiteren Schluck aus seinem Whiskyglas nahm.
Ein Mädchen kam ins Bild. Sie war ungefähr neun Jahre alt, und man sah ihr an, dass sie Angst hatte. In einem schlichten weißen Kleid und mit Bändern in ihrem langen dunklen Haar ging sie langsam auf die Kamera zu. Sie blieb stehen und kniete sich dann wie zum Gebet hin, wobei sie den Mund zu einem Oval formte.
Eine Gestalt im dunklen Anzug schob sich vor sie.
Samstagmorgen. Der achtundzwanzigste Tag in Folge ohne Regen in London, und aller Voraussicht nach würde die Hauptstadt den Hitzerekord noch brechen.
Ein Fernsehstudio ist eine Welt ohne Zimmerdecke, aber das machte es kein bisschen kühler. Es ist ein Ort, der von Drähten, Kabeln und Durcheinander geprägt ist; und wie jedes andere Universum hat es seine eigenen Gesetze, seine eigene Moral, seine eigenen kleinen Götter.
Im Regieraum war auf mehreren Bildschirmen eine Gruppe von vielleicht neun- oder zehnjährigen Schulkindern zu sehen. Sie sangen den Choral »All Things Bright and Beautiful«. Alex Moffett, Ende dreißig und schon früh zur Glatze neigend, setzte seine Designerbrille ab und stellte das Band auf Pause.
»Okay, Caroline, das ist in Ordnung. Legen Sie mir den Bischof ein.«
Caroline, eine flotte Absolventin der Medienakademie, Mitte zwanzig, das kurze gebleichte Haar zur Igelfrisur gestylt, mit Kampfstiefeln, Schottenrock und einem T-Shirt, auf dem vorne wie von Hand geschrieben »The Dog’s Bollocks« stand, durchwühlte eine Kiste mit Videobändern und zuckte entschuldigend die Achseln. Dann ging sie die Bänder erneut durch und schüttelte schließlich den Kopf.
»Der Bischof ist wieder im Büro. Der Bote müsste ihn mittlerweile hochgebracht haben.«
Moffett warf ihr einen finsteren Blick zu.
»Was sage ich doch immer?«
Caroline betrachtete das wütende Gesicht ihres Chefs. Leicht belustigt, aber, um ehrlich zu sein, auch leicht verängstigt, obwohl Moffett kein beängstigend aussehender Mann war.
»Arbeite nie mit blutigen Anfängern.«
»Arbeite nie mit blutigen Anfängern, genau so ist es! Herrgott, ich brauche einen Drink.«
Caroline sah ein wenig überrascht aus, als Moffett aufstand und in sein Jackett schlüpfte.
»Alex, in einer Stunde beginnt die Aufnahme!«
»Ich mache diese verdammte Sendung jetzt schon seit fünf Jahren, Schätzchen. Ich kenne unseren Scheißzeitplan in- und auswendig.«
»Natürlich.«
Caroline lächelte beschwichtigend und wandte sich wieder ihrem Monitor zu. Moffett murmelte leise vor sich hin und steuerte auf den Ausgang zu. Er reagierte nicht einmal auf das Kopfnicken des Wachmanns, der hinter dem Empfangstresen saß, sondern
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