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Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Titel: Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Augen. Groß und von einem tiefen, kühlen Dunkelgrün. »Fragen Sie nur«, flüsterte sie, als habe sie Angst, jemand außer der Polizistin könne sie hören. »Ich fürchte nur, ich weiß gar nichts.«
    Das glaube ich kaum, dachte Winnie Heller. Vielleicht weißt du nicht, dass  du etwas weißt. Aber du weißt etwas. Irgendetwas weiß man immer. Laut sagte sie: »Wo genau befanden Sie sich, als der Artist über Sie herfiel?«
    »Im Bad.« Ihr Deutsch war ausgezeichnet. Der Akzent bestand lediglich aus einer spezifischen Färbung der Vokale, die überdies einen Hauch zu lang gerieten. »Ich hatte mich abgeschminkt und wollte gerade zu Bett gehen. Ich hatte vor, noch ein wenig fernzusehen.«
    »Sie haben ihn nicht kommen hören?«
    »Nein.« Irina Portner schüttelte den Kopf. »Als ich aus der Tür trat, sah ich einen Schatten. Irgendwo … Ja, rechts von mir. Und dann wurde es auch schon dunkel.«
    »Das heißt, Sie haben weder sein Gesicht noch seine Statur gesehen?«
    Wieder Kopfschütteln. »Leider …«
    »Macht nichts«, versicherte Winnie Heller eilig. Sie selbst
war vor knapp einem Jahr Opfer eines Überfalls geworden. Aber im Gegensatz zu der jungen Russin war sie nicht vergewaltigt worden. Sie hatte nur ein paar Prellungen und Schürfwunden davongetragen, alles in allem nichts Dramatisches. Trotzdem hatte das Erlebnis sie tief geprägt. Das Gefühl elementarer Hilflosigkeit, das sie empfunden hatte, verfolgte sie bis heute. Ebenso wie das Loch in ihrer Erinnerung, das die entscheidenden Minuten des Geschehens verschlungen hatte. Genau wie das Gesicht ihres Angreifers.
    »Alles, woran ich mich erinnere, ist, dass er mir eine Hand vor den Mund gehalten hat«, sagte die junge Russin in die Stille, die sich zwischen ihnen breitgemacht hatte. »Er trug einen Handschuh. Leder, glaube ich.«
    Winnie Heller nickte. »Er betäubt seine Opfer.«
    Irina Portner schenkte ihr ein gezwungenes Lächeln. »Ich weiß.«
    »Entschuldigen Sie.« Winnie musterte die zierlichen Handgelenke der Russin und die schmalen Schultern, die sich unter dem Krankenhauskittel abzeichneten. Von einer Frau wie Irina Portner würde man  – zumindest auf den ersten Eindruck hin  – keine große Gegenwehr erwarten, dachte sie. Aber mit solchen Einschätzungen konnte man auch weit danebenliegen. Oft waren es gerade die zartesten Geschöpfe, die die größte Entschlossenheit an den Tag legten. Und Entschlossenheit war in manchen Lebenslagen weit mehr wert als körperliche Fitness und ein paar gut ausgebildete Muskeln. Irina Portner allerdings hatte erst gar keine Gelegenheit gehabt, Entschlossenheit zu zeigen. Der Artist hatte ihr von vornherein jedwede Möglichkeit zur Gegenwehr genommen. Winnie riss den Blick von ihren Schultern los und zerrte einen abgegriffenen Notizblock aus ihrer Handtasche. »Ist Ihnen bekannt, wie der Mann ins Haus gekommen ist?«
    Die junge Russin schüttelte den Kopf, und Winnie Heller berichtete von dem geknackten Fenster vor der Gästetoilette.
    »Wer könnte gewusst haben, dass dieses Fenster eine Lücke im Sicherheitssystem Ihres Hauses darstellt?«, fragte sie, als sie geendet hatte.
    Ihre Zeugin blickte zu Boden, ganz ähnlich wie auf dem Foto, das Wieczorek ihnen gezeigt hatte. Und unwillkürlich musste Winnie Heller wieder an den Spiegel über dem Bett denken.
    »Hat ihr Mann vielleicht hin und wieder über solche Dinge gesprochen?«
    »Was für Dinge?«, fragte Irina Portner.
    »Über Dinge wie die Alarmanlage«, antwortete Winnie, unsicher, ob ihre Gesprächspartnerin tatsächlich nicht verstanden hatte oder nur Zeit gewinnen wollte. »Mit Freunden zum Beispiel?«
    »O nein. Jan ist … war sehr eigen mit allem, was seine persönliche Sicherheit betraf.« Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln, das Winnie Heller nicht deuten konnte. »Sein Haus sollte sein wie eine Festung.«
    »Fühlte er sich denn konkret bedroht?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    Winnie sah zum Fenster. Die Vorhänge waren zugezogen, aber in der Mitte war ein schmaler Streifen Himmel zu sehen. »Hat Ihr Mann vielleicht irgendwann mal jemanden erwähnt, mit dem er Ärger hatte? Beruflich oder privat?«
    »Nein.« Sie klang sehr sicher. »Und ich … Ich denke eigentlich auch nicht, dass er Angst gehabt hat. Es …« Wieder ein längeres Überlegen. »Es ging ihm mehr um das Gefühl, dass niemand unbemerkt sein Revier betreten kann, verstehen Sie? Jan war so.«
    »Wie?«
    »Er achtete auf das, was seins war.« Irina Portner

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