Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
sich nicht vorstellen, dass sie das jedes Mal so gemacht hatten. Also hatten sie einen guten Grund. Aber welchen? Hatte dieser Scheißkerl, der ihn erpresste, ihm vielleicht doch eine Falle gestellt? Schnappte diese Falle nur später zu, als er vermutet hatte? Oder hatte einer ihrer Psychologen behauptet, dass er zurückkehren würde, und wagten sie nun einen Schuss ins Blaue?
Egal, dachte er, erst einmal muss ich hier weg!
Er sah nach dem Volvo, der just in diesem Moment weiterfuhr. Die Straße verlief in diesem Abschnitt leicht gekrümmt. Es waren noch etwa fünfzig Meter, dann würde der Wagen aus seinem Blickfeld verschwinden.
Okay. Dreißig …
Zehn …
Jetzt oder nie!
Damian warf einen Blick in den Rückspiegel und sah einen Mercedes, der zügig näher kam. Als er vorbei war, wendete er in der Einfahrt schräg gegenüber und ordnete sich anschließend unauffällig wieder in den Verkehr ein, wobei er die Straße hinter sich akribisch im Auge behielt. Der Gedanke,
wie knapp er einer Enttarnung entgangen war, trieb Wellen von Adrenalin durch seine Blutbahn.
Was jetzt? Wie weiter?
Seinen ursprünglichen Plan konnte er knicken. Das Portner-Haus war ab sofort Feindesland, so viel stand fest. Zumindest im Augenblick. Aber so knapp die Sache auch gewesen war: Sie hatte ihr Gutes. Er wusste jetzt um ihre Anwesenheit. Er wusste, dass sie ihm auf lauerten. Er würde nicht in die Falle gehen, die sie ihm zu stellen versuchten. Und niemals, unter gar keinen Umständen, würden sie sein Auto noch einmal in dieser Straße zu Gesicht kriegen. In hundert verdammten Jahren nicht!
3
»Es tut mir furchtbar leid, aber ich muss Sie das fragen …«
Irina Portner sah ihre Besucher nicht an. Sie saß einfach nur da, auf ihrem sündhaft teuren Benz-Sofa, und starrte vor sich hin.
Winnie Heller, die im Stillen darauf gehofft hatte, dass die junge Witwe ihr irgendwie zu Hilfe kommen oder doch zumindest nicken würde, seufzte. »Ich weiß, es klingt pietätlos«, startete sie einen neuen Versuch, »aber ist Ihnen bekannt, ob Ihr Mann irgendwelche Damenbekanntschaften hatte?«
Damenbekanntschaften! , schalt sie sich, kaum dass der Satz heraus war. Was für ein lächerlich altmodisches Wort! Warum sagst du nicht einfach Verhältnisse? Glaubst du denn im Ernst, dass Euphemismen irgendetwas besser machen?
Doch zu ihrer Überraschung reagierte Irina Portner erstaunlich gelassen. »Ich denke schon«, antwortete sie ohne nennenswerte Regung.
Neben Winnie Heller zog Verhoeven die Stirn hoch. »Sie denken?«
»Jan war anständig genug, das alles von hier fernzuhalten.«
Das alles …
Winnie Heller tauschte einen Blick mit ihrem Vorgesetzten. Und wieder fiel ihr die Wortwahl der Russin auf: »von hier«, nicht »von zu Hause« oder gar »von mir«.
»Oder vielleicht sollte ich besser sagen, mein verstorbener Mann legte großen Wert auf Diskretion«, korrigierte sich Irina Portner im selben Moment, als habe sie die Gedanken ihres Gegenübers gelesen.
Nicht einmal das »anständig« kann sie im Zusammenhang mit ihrem Mann stehenlassen, resümierte Winnie erstaunt. »Aber er hatte Affären?«
Irina Portner nickte. »Davon gehe ich aus.«
»Seit wann wissen Sie davon?«
»Nicht dass Sie mich missverstehen«, sagte die junge Russin anstelle einer Antwort. »Er trennte das natürlich. Seine Ehe und … Na ja, das andere. Aber er machte sich auch nicht unbedingt die Mühe eines aufwendigen Versteckspiels.«
Winnie Heller überlegte, wie sie ihre nächste Frage am besten formulieren konnte.
Doch die junge Russin kam ihr zuvor: »Ich bin nicht dumm«, sagte sie, und seltsamerweise klang es weder bitter noch rechtfertigend. »Jan war ein gutaussehender und erfolgreicher Mann, der schon von Berufs wegen mit vielen ebenso gutaussehenden und erfolgreichen Frauen zusammentraf. Er war viel außer Haus, und wenn, dann war er längst nicht immer dort, wo er eigentlich sein sollte.«
Was für ein seltsamer Satz, dachte Winnie. Und doch verstand sie genau, was Irina Portner meinte.
»Natürlich gibt es viel Häme in solchen Fällen«, setzte diese im selben Moment mit einem leisen Achselzucken hinzu.
»Häme?«, mischte sich Verhoeven ein. »Aus welcher Richtung? «
Die junge Russin lächelte. »Manche Leute haben Mitleid und wollen einem die Augen öffnen«, antwortete sie vielsagend. »Anderen bereitet es Vergnügen, den Schmerz zu sehen, den ihre Bemerkungen auslösen. Oder …« Sie lächelte
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