Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Wort.
Na, da wärst du ja auch schön blöd, mein Bester!
»Tut mir echt leid, aber ich muss jetzt wirklich los.« Sie wandte sich wieder zur Tür.
»Okay«, er zupfte an seiner Unterlippe. »Wir zahlen dir tausend. «
Sie lachte laut und herzlich. »Bis dann, Luca!«
»Schon gut, schon gut«, stöhnte er. »Ich mach dir einen Vorschlag: Du lässt das«, seine Hand wies auf den Artikel, »hier, und ich rufe dich in einer Stunde an, einverstanden?«
»Nei-hein.« Das Spiel war zu Ende. Sie hatte gewonnen. Wozu noch unnötig Zeit verschwenden?
»Du bist ein Fleckfieber, Jo Ternes.«
Sie drehte sich zu ihm um und schenkte ihm ein siegesbewusstes Lächeln. »Ja«, sagte sie. »Ich weiß.«
2
Damian Kender mochte Ampeln. Dieser Augenblick des unfreiwilligen Stillstands, des erzwungenen Innehaltens, hatte beinahe etwas Meditatives, fand er. Zugleich liebte er die Nähe, die sich an Ampeln zwangsläufig ergab und die in einer solchen Situation kaum jemand persönlich nahm. Im Gegenteil: Die Leute verhielten sich vor einer roten Ampel grundsätzlich wie eine Horde paralysierter Lemminge. Fast so, als blockiere das Rot nicht nur den Verkehrsfluss, sondern auch ihren Verstand, ihre Instinkte. Sie standen da, als habe irgendwer sie einfach ausgeknipst, bis das ersehnte Grün den unausgesprochenen Bann wieder löste und sie sich und ihre Gedanken wieder in Bewegung setzen konnten.
Natürlich gab es selbst hier Ausnahmen, Leute, die die Gegenwart so vieler Fremder nicht ertrugen. Die nervös wurden,
sobald man sie zum Stillstand zwang. Menschen, die glaubten, keine Zeit zu haben.
Ausscherer.
Provokateure …
Das Mädchen da vorn ist so ein Beispiel. Die mit den pechschwarz gefärbten Haaren, die beständig von einem Fuß auf den anderen tritt, während ihr Blick vor Herausforderung nur so trieft. Aber das ist eigentlich bloß ihre ganz persönliche Art, mit ihrer elementaren Unsicherheit fertigzuwerden. Das Tattoo auf ihrer Schulter ist billig und sieht eher wie ein schwarzblaues Ekzem aus. Dafür ist in dem winzigen Rucksack auf ihrem Rücken nicht mal Platz für eine Sonnenbrille. Damians Augen saugten sich an ihrem Hinterkopf fest. Schon wieder eine Gewichtsverlagerung, gepaart mit einem entnervten Blick hinauf in den stumpfen Hitzehimmel. Jetzt wird sie gleich nach links sehen. Dann kurz nach rechts, und dann – darauf verwettet er seinen Arsch – wird sie einfach losgehen.
Die ältere Dame rechts von dem Mädchen ist zu gestresst, um zu meckern, aber die andere da drüben, Typ alleinstehende Deutschlehrerin, die wird unter Garantie hinter ihr her schimpfen, dass so ein Verhalten unverantwortlich sei, noch dazu, wo Kinder in der Nähe sind, die sich dergleichen abschauen könnten.
Damian lächelte und wandte sich einer jungen Mutter zu, die schräg links von ihm stand, ein Balg an der Hand, das andere im Buggy vor sich. Aus ihrem Pferdeschwanz hat sich eine Strähne gelöst und kitzelt sie an der Stirn, doch sie hat im Moment keine Hand frei, weil sie sich außer um die Kinder auch noch um einen Gesprächspartner oder eine Gesprächspartnerin am Handy kümmern muss. Das nervt sie. Genau wie ihre Kinder sie nerven. Die Kleine an ihrer Hand himmelt sie in einem fort an und erzählt dabei irgendetwas, dem niemand Beachtung schenkt, am allerwenigsten ihre
Mutter. Trotzdem spricht das Mädchen immer weiter. Seine Stimme ist sonor und fröhlich, eine starke kleine Persönlichkeit, die sich so schnell nicht unterkriegen lässt. Ein richtiger kleiner Sonnenschein. Ihr Bruder hingegen nörgelt und greint ohne Pause und katscht zwischendurch lustlos an dem sabbertriefenden Stück Brötchen herum, das seine Mutter ihm in die Hand gedrückt hat, um wenigstens mal für ein paar Sekunden Ruhe vor ihm zu haben. Jetzt beendet sie ihr Telefonat ohne Gruß und starrt die beiden Einkaufstaschen an, die sie hinten an den Buggy gehängt hat. An ihrem entgeisterten Gesicht kann Damian ablesen, dass sie irgendwas Wichtiges vergessen hat und sich für dieses Versäumnis am liebsten in der Luft zerreißen würde. Da sie selbst vergleichsweise anspruchslos aussieht, tippt er darauf, dass das Vergessene ihren Mann betrifft. Seine Augen wandern zum Ringfinger ihrer rechten Hand, an dem ein Trauring steckt. Klar. Sie ist klug. Ohne Hochzeit kein Nachwuchs. Inzwischen freilich bereut sie beides. Und zwar gründlich. Das mit der Hochzeit wird sie irgendwann ändern, das verrät ihm der Ansatz von Trotz, der in den hellen
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