Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
»Ich würde dir raten, dir das noch mal zu überlegen.«
Obwohl Kira es hasste, wenn man ihr drohte, versuchte sie, gelassen zu klingen. »Und was ist, wenn ich mich weigere?«, fragte sie so neutral, als verlese sie die Nachrichten.
Die Augen ihrer Partnerin schlugen Funken. Eine äußerst explosive Mischung aus Enttäuschung und Angriffslust. »Willst du das wirklich wissen?«
Und auf einmal war die Angst da. Ein eisiges, elementares Gefühl, das umgehend alle Bedenken – ihrer offensichtlichen Berechtigung zum Trotz – in den Hintergrund drängte und nur noch einen einzigen Gedanken zuließ: Ich darf sie nicht verlieren. Das ertrage ich einfach nicht …
»Na schön«, setzte Merle an, die das Schweigen ihrer Freundin missdeutet hatte. »Wenn du es nicht tust, werde …«
»Lass gut sein«, fiel Kira ihr ins Wort. »Ich komme ja mit.«
Woher der plötzliche Sinneswandel?, las sie in den Augen ihrer Partnerin, doch Merle sprach den Gedanken nicht aus. Ihre Irritation allerdings war offensichtlich.
Normalerweise neigte keine von ihnen dazu, eine Auseinandersetzung kampflos aufzugeben. Im Gegenteil: Sie hatten ihre Meinungsverschiedenheiten von Beginn an mit großer Vehemenz und ebenso großer Leidenschaft ausgetragen, was in erster Linie der Tatsache zuzuschreiben war, dass sie beide überaus starke und eigenständige Persönlichkeiten waren.
»Wann genau müssen wir dort sein?«, fragte Kira, bevor ihre Lebensgefährtin vielleicht doch noch nachhaken konnte.
»Ich möchte rechtzeitig genug …«
»Sag mir einfach, wann«, fiel Kira ihr abermals in die Rede.
»Die Beerdigung ist um halb vier.«
Kira sah auf die Uhr. »Gut«, sagte sie. »Gib mir zehn Minuten zum Umziehen. Dann können wir los.«
5
Winnie Heller konnte Friedhöfe nicht ausstehen.
Und bei Hitze fand sie sie noch unerträglicher als sonst. Entsprechend gut war ihre Laune, als sie den Wiesbadener Südfriedhof durch das imposante Hauptportal betrat. Sie war früh dran und für ihre Pünktlichkeit mit einem Parkplatz unweit des Eingangs belohnt worden. Zwar stand ihr Polo dort in der prallen Sonne, doch zumindest konnte sie sich mit dem Wissen trösten, nach der Veranstaltung nicht allzu weit laufen zu müssen. So nannte sie Jan Portners Begräbnis nämlich im Stillen: eine Veranstaltung, und insgeheim war sie sicher, dass sie mit dieser pietätlosen Bezeichnung nicht allzu weit danebenliegen würde.
Sie standen deswegen bereits seit Tagen in engem Kontakt mit Irina Portner. Es würden um die zweihundert Personen anwesend sein, wahrscheinlich sogar deutlich mehr. In Winnie Hellers Handtasche steckte eine Liste mit Namen – Familie, Freunde, Kollegen, Nachbarn und alle, die der jungen Witwe sonst noch eingefallen waren. Dazu kamen die Offiziellen, die sich angekündigt hatten. Bürgermeister, Politiker, Gastronomen. Sie hatten die Liste durchgearbeitet und sich – wo immer möglich – Fotos besorgt, um Gesichter schneller einordnen zu können. Ohnehin lag die Hauptschwierigkeit darin, unauffällig zu bleiben. Da war es hilfreich, wenn man den einen oder anderen von vornherein ausschließen konnte.
Die meisten der Nachbarn hatten sie im Zuge der Ermittlungen bereits persönlich kennengelernt. Dasselbe galt für Portners Gespielinnen und sein Personal. Erfreulicherweise hing im Canard nach amerikanischem Vorbild eine sogenannte »Mitarbeiter-Tafel«, an der sie sich hatten orientieren können, eine Art Stammbaum mit den Konterfeis sämtlicher Angestellten – von der Putzfrau bis zum Küchenchef.
Schwierigkeiten bereitete ihnen hingegen ausgerechnet Jan Portners Verwandtschaft, was in der Hauptsache daran lag,
dass der Erfolgsgastronom ganz offenbar keinen gesteigerten Wert auf familiäre Bande gelegt und den Kontakt entsprechend sporadisch gehalten hatte. Es gab einen Bruder, der mit seiner Familie aus Kiel anreisen würde, und eine Reihe von Cousins und Cousinen, deren Namen Irina Portner dem privaten Adressbuch ihres verstorbenen Mannes entnommen hatte. Den meisten dieser Leute war sie nie begegnet, und es war eher unwahrscheinlich, dass sie zur Trauerfeier eines Mannes erscheinen würden, der es nicht einmal für nötig gehalten hatte, sie zu seiner Hochzeit einzuladen. Aber man konnte nie wissen. Winnie Heller nickte grimmig. Die Leute taten andauernd Dinge, die man nicht von ihnen erwartete …
Überhaupt würde die ganze Sache verdammt unübersichtlich werden!
Wenn ich anstelle des
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