HMJ06 - Das Ritual
loderte der Zorn in ihm auf. Wenn er es doch nur rechtzeitig gewusst hätte.
Jack schaltete die Scheinwerfer aus und parkte in zweiter Reihe. Er benutzte noch einmal die Zeitung als Regenschirm, während er das letzte Stück des Blocks zu Fuß zurücklegte.
Dabei beobachtete er, wie Bellitto am Bürgersteig vor seiner Haustür anhielt. Er überquerte die Straße gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Bellitto ausstieg und die Heckklappe öffnete. Mr. Gorilla erschien, in den Armen ein in Decken gewickeltes Bündel. Ein Bündel, so groß wie ein Kind. Er schloss die Wagentür mit dem Fuß, während Bellitto über den dunklen Bürgersteig vorausging. Jetzt kannte Jack auch den Grund für die zerstörte Straßenlaterne.
Mittlerweile näher gekommen, hielt er Ausschau nach einem Anzeichen von Bewegung in der Decke. Doch er konnte nichts dergleichen erkennen. Sein Magen machte einen kleinen Hüpfer, als ein Fuß mitsamt einem kleinen Turnschuh aus dem Deckenbündel herausrutschte und dem Regen schutzlos preisgegeben war.
Scheiße, vielleicht kam er schon zu spät.
Ein düsterer Bereich in seinem Innern brach auf, und rasende Wut sickerte in seinen Blutkreislauf ein. Am liebsten hätte er die .38er gezückt und angefangen, Gesichter aufs Korn zu nehmen. Aber das Verhältnis war zwei gegen einen, und dazwischen befand sich ein Kind, das vielleicht noch gerettet werden konnte. Anstatt loszustürmen, bremste er sich und verfiel in einen schwankenden, unsicheren Gang. Er griff in sein Hemd und schlängelte die Hand durch die Halteschlinge des Totschlägers. Seine Finger legten sich um den Ledergriff.
Die beiden Männer verharrten auf dem Absatz vor der Haustür, als sie bemerkten, wie Jack sich näherte. Bellittos Hand hing in der Luft vor dem Schlüsselloch, während er Jack anstarrte. Jack schlurfte weiter, duckte den Kopf unter die Zeitung und war eindeutig umnebelt von Alkohol oder irgendwelchen Drogen. Gleichzeitig hatte er die Männer jedoch genauestens im Auge.
»Komm schon!«, meinte Mr. Gorilla zu Bellitto. »Ich bin gleich nass bis auf die Haut.«
Sobald er an ihnen vorbei war, warf Jack einen Blick über die Schulter, sah ihre Rücken und wurde aktiv. Er wirbelte herum, riss den Totschläger heraus und flog regelrecht auf die Haustür zu. Sie schwang soeben auf. Zuerst müsste er Mr. Gorilla ausschalten.
Jack kam heran und legte seine ganze Kraft in den Tritt gegen die linke Kniekehle des Gorillas. Er spürte, wie die rechteckige Spitze seines Stiefels in die mit Nerven, Blutgefäßen und Sehnen ausgefüllte Beuge eintauchte.
Mr. Gorilla stieß einen knappen scharfen Schrei aus, etwas wie ein lang gezogenes »Ahhh!«, während das Knie unter ihm nachgab. Er sackte auf dieses Knie und hielt noch immer das in Decken gewickelte Bündel fest, wodurch sein Kopf sich auf ideale Trefferhöhe absenkte. Jack nahm an dem kahlen Schädel vor ihm Maß und legte die Schulter, den Arm und das Handgelenk hinter den Totschläger. Das mit Leder umkleidete Gewicht landete mit einem satten fleischigen Klatschen im Ziel, und Mr. Gorilla kippte mit einem Stöhnen nach links. Das Deckenbündel landete auf ihm.
Er hörte, wie Bellittos Schlüssel zu Boden klirrten, wandte sich um und sah, wie er in der Tasche seines Anzugsakkos herumwühlte. Jack holte zu einem kurzen, harten Rückhandschlag aus, und der Totschläger traf den Kopf an der Seite. Bellitto taumelte einen halben Schritt nach links, stolperte und landete auf dem Rücken.
Jack drehte sich zu Mr. Gorilla um, sah, wie er den Kopf schüttelte und sich auf einem Ellbogen aufstützte. Ein zäher Bursche. Vielleicht hatte er aber auch einen besonders dicken Schädel. Jack verpasste ihm einen weiteren Schwinger hinters Ohr, und der schaltete ihn aus. Ein klassischer K.o.
Jack unterdrückte den unwiderstehlichen Drang, die beiden in die Mangel zu nehmen, sie nach Strich und Faden zu verprügeln, doch selbst mit der defekten Straßenlampe über ihm drang von den intakten Lampen straßauf und straßab genügend Licht auch an diese Stelle, so dass er sich vorkam wie auf dem Präsentierteller. Jemand musste die Auseinandersetzung gesehen haben und rief bestimmt in diesem Moment die 911 an. Außerdem war das Kind in der Decke so schlaff und schwer wie ein Sack Getreide. Jetzt war nicht die Zeit für Vergnügungen. Er musste Hilfe suchen, und zwar medizinische.
Er verstaute den Totschläger wieder im Hemd und bückte sich, um den Jungen aufzuheben, nahm rechts hinter sich eine
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