HMJ06 - Das Ritual
Gia glaubte daran. Sie hatte die Rakoshi gesehen, daher hatte sie auch gleich alles akzeptiert, als er ihr die Hintergründe erklärt hatte. Doch sogar nach all dem, was sie an diesem Tag erlebt hatten, hielten die Kenton-Brüder ihn für nicht wenig verrückt.
Er machte einen tiefen Atemzug, und es wirkte, als würde er das Vergangene energisch zur Seite schieben. »Aber zurück zu dem großen Loch in Monroe: Sal Roma und ein besonders hässliches Schoßtier vertraten dort die Andersheit. Die Anti-Andersheit wurde durch zwei Typen repräsentiert, die aussahen wie eineiige Zwillinge. Ich stand sozusagen zwischen beiden Parteien, und die Zwillinge waren bereit, mich für ihre Zwecke zu opfern – was mir ziemlich überzeugend demonstrierte, wie wenig wohlwollend diese so genannte Verbündete Macht ist. Die Situation wurde zunehmend kompliziert, aber das Ergebnis sah so aus, dass ich am Ende aus der Geschichte mehr oder weniger heil herauskam – die Zwillinge aber nicht.«
»Wissen Sie«, sagte Lyle, »das alles ist äußerst faszinierend, aber was hat das mit unserem Haus zu tun?«
»Dazu komme ich gleich. Ich habe seitdem erfahren – zumindest wurde es mir so mitgeteilt –, dass ich zum Dienst für die Anti-Andersheit zwangsverpflichtet wurde.«
»Zwangsverpflichtet?«, fragte Lyle. »Soll das heißen, dass Sie in dieser Angelegenheit nichts zu entscheiden haben?«
»Ganz und gar nichts offenbar. Ich vermute, dass ich für das Verschwinden der Zwillinge irgendwie verantwortlich bin und sie deshalb in irgendeiner Form ersetzen muss. Aber wenn dieses Große – was auch immer es sein mag – glaubt, ich würde jetzt durch die Welt ziehen, um wer weiß wo Feuer auszutreten, die von der Andersheit angefacht wurden, dann sollte es schnellstens von diesem Trip runterkommen. Ich habe keine Ahnung von meinen Vorgängern, aber ich habe ein eigenes Leben.«
»Was meinen Sie mit ›von der Andersheit entfachten Feuern‹?«, fragte Charlie.
»Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich habe den Eindruck, dass die meisten der seltsamen Dinge, die in dieser Welt passieren – was die Menschen gerne paranormal oder übernatürlich nennen – in Wirklichkeit Manifestationen der Andersheit sind. Alles, was uns einen Schrecken einjagt, uns verwirrt, alles, was das Schlechte in uns zum Vorschein bringt, stärkt die Andersheit.«
Charlie schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sie reden vom Satan, Mann! Vom Vater der Lüge, vom Stifter der Zwietracht!«
»Vielleicht«, sagte Jack, der ein theologisches Streitgespräch vermeiden wollte. »Und vielleicht bin ich mir vieler Dinge gar nicht so sicher, wie ich es früher gewesen wäre. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich als Anti-Andersheit markiert wurde und deshalb derjenige war und bin, der all das ausgelöst hat, was sich seit meinem ersten Auftritt hier in Ihrem Haus abgespielt hat.«
Jack schaute in die Runde und fing Lyles Blick auf, der ihn ungläubig anstarrte. »Sie wollen behaupten, Sie hätten dieses Erdbeben ausgelöst?«
»Entweder das, oder es war alles nur purer Zufall. Und ich habe ziemlich drastisch erfahren, dass es in meinem Leben absolut keine Zufälle gibt.«
Lyles Augen weiteten sich. »Keine Zufälle mehr … das heißt, dass Ihr Leben manipuliert wird. Also, das kann einem verdammt Angst machen.«
»Wem sagen Sie das.« Jacks Eingeweide verkrampften sich jedes Mal, wenn er es zuließ, darüber nachzudenken. Er sah Gia an. »Demnach können Sie jetzt verstehen, weshalb ich nicht möchte, dass Gia sich auch nur in der Nähe dieses Hauses – geschweige denn darin – aufhält.«
»O ja.« Lyle nickte heftig. »Unter der Voraussetzung, dass das, was Sie erzählt haben, wirklich zutrifft – und bisher machen Sie auf mich nicht den Eindruck, als wären Sie nicht ganz richtig im Kopf –, ja, ganz und gar. Und so ungern ich es zugebe – weil ich immer dachte, dass so etwas nicht mehr als ein schlechter Scherz ist –, wir scheinen es hier tatsächlich mit einem echten Gespenst zu tun zu haben. Könnte so etwas mit Ihrer Andersheit in Verbindung stehen?«
Jack spürte, wie sich Zorn in ihm regte. »Zuerst einmal, die Andersheit kommt nicht von mir. Ich habe sie mir nicht einfallen lassen, sondern sie wurde mir aufgedrängt, und ich wäre sicherlich viel glücklicher, wenn ich nie etwas von ihr gehört hätte. Zweitens, niemand hat mir ein Buch oder eine gedruckte Anleitung zukommen lassen und gemeint: ›Da, nimm, lies das, damit du weißt, womit du es
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