HMJ06 - Das Ritual
mittlerweile schon die dritte –, hörte er rechts von sich ein metallisches Klirren. Er blieb stehen, lauschte. Eine Männerstimme fluchte wütend. Nicht allzu weit vor ihm sah er einen Mann und eine Frau in der Nähe einer Straßenlaterne. Der Mann kniete vor dem Hinterrad eines hellen Corolla, der neben einem Feuerhydranten parkte. Die Frau stand am Wagen und ließ den Blick umherschweifen, als hielte sie Wache.
»Nun mach schon, dalli, dalli!«, trieb die Frau zur Eile. »Geht das nicht schneller?«
»Die verdammten Schrauben sind verrostet. Ich …« Es klirrte erneut. »Scheiße!«
Jack trat auf die Fahrbahn des Ditmars Boulevard und schlich sich auf der anderen Straßenseite an. Dabei nutzte er die Deckung mehrerer geparkter Automobile aus. Als er sich mit dem Corolla auf gleicher Höhe befand, fand er eine in tiefem Schatten liegende Nische und beobachtete von dort aus das weitere Geschehen.
Der Mann war mittelgroß, um die vierzig Jahre alt, hatte eine beginnende Glatze und einen ansehnlichen Bauch. Die Frau dagegen wirkte geradezu winzig, nicht viel größer als höchstens eins fünfzig, und hatte eine Figur wie ein Feuerhydrant. Bei ihrem Mundwerk wäre sogar Eminem errötet.
Offenbar hatte der Mann noch nicht viele Reifen gewechselt, und das ständige Nörgeln seiner Begleiterin war ihm keine große Hilfe. Am Ende aber hatte er das Reserverad montiert. Nachdem er den Wagen heruntergelassen und den Wagenheber eingepackt hatte, kehrte die Frau auf den Beifahrersitz zurück.
Während der Mann sein Werkzeug einsammelte, zog sich Jack das abgeschnittene Bein der Strumpfhose über den Kopf, schob die linke Hand durch die Rolle Klebeband und riss ein etwa fünfzehn Zentimeter langes Stück davon ab. Ein Ende klebte er sich auf den linken Unterarm und wartete darauf, dass der Mann den platten Reifen aufhob.
Als er es tat, sprintete Jack quer über die Straße direkt auf ihn zu. Der Mann sah Jack nicht, bis er genau vor ihm erschien. Sein Mund öffnete sich zu einem erschreckten O, während er den Kopf hob, aber seine beiden Hände hielten den schweren Reifen, so dass er sich nicht wehren konnte, als eine Faust auf seine Nase krachte. Der Reifen rutschte ihm aus den Fingern, während der Kopf nach hinten schnappte. Jack packte ihn vorne am Hemd, riss ihn zu sich und wuchtete ihn in den Kofferraum des Wagens. Der Mann war völlig benommen und wehrte sich nicht, während Jack seine Beine über den Rand schob und den Deckel zuklappte.
Ohne einen Deut langsamer zu werden, wechselte Jack zur Beifahrerseite, zückte sein Messer und ließ die Klinge herausschnellen. Der offene Kofferraumdeckel hatte ihn vor der Beifahrerin verborgen. Jetzt riss er ihre Tür auf und presste eine Hand auf ihren überraschten Mund.
Er fuchtelte mit der Messerklinge vor ihren weit aufgerissenen Augen herum und sagte etwas. Dabei wählte er einen schwerfälligen deutschen Akzent, als spielte er den Lagerkommandanten Klink in Ein Käfig voller Helden.
»Ein Piepser und du bist tot!«
Sie starrte ihm in das vom Nylonstrumpf verzerrte Gesicht, gab einen leisen Laut von sich, der wie »Gakk« klang, und klappte dann den Mund zu.
»So ist es gut.«
Jack ersetzte die Hand auf ihrem Mund durch den Streifen Klebeband. Dann zerrte er sie vom Beifahrersitz und legte sie auf die Rückbank, wo er ihr in Windeseile Hände und Füße fesselte.
Dann kam die Krönung: Er drehte ihr Gesicht herum und verklebte ihr die Augen – auf jedes einen Streifen Klebeband und ein langes Ende zweimal um den Kopf. Er rollte sie vor die Rückbank auf den Wagenboden, holte ihren Begleiter aus dem Kofferraum und verarztete ihn genauso.
Insgesamt dauerte die ganze Aktion zwei Minuten. Vielleicht sogar weniger.
Dann schwang er sich in den Fahrersitz, ließ den Motor an, und schon waren sie unterwegs. Gleichzeitig zog er sich den Strumpf vom Kopf und massierte das juckende Gesicht. Danach wandte er sich an seine wimmernden Opfer.
»Sicher fragt ihr euch, warum ich es ausgerechnet auf euch abgesehen habe. Ist eine reine Geldangelegenheit. Ich brauche es, ihr habt es. Daher fahren wir jetzt irgendwohin, wo wir ungestört sind und die Transaktion vornehmen können. Das ist nichts Persönliches. Die Gelegenheit ergab sich, und ich hab sie ergriffen. Macht mir keine Schwierigkeiten, und ihr kommt heil aus der Sache raus. Ist das klar?«
Im Grunde war ihm egal, ob sie ihm seinen Akzent abnahmen. Er wollte lediglich, dass sie seine normale Stimme nicht erkannten,
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