HMJ06 - Das Ritual
wie Sie beide sich revanchieren können.«
Jack sah ihre leicht angewiderten Mienen. Wie so gut wie alle echten Trickbetrüger verabscheuten sie handgreifliche Gewalt.
»Falls es Ihnen zu unangenehm ist, erledige ich das ganz allein. Aber es ginge um einiges schneller, wenn ich ein wenig Hilfe hätte.«
Lyle sah Charlie unsicher an, dann seufzte er. »Uns bleibt wohl nichts anderes übrig.«
10
Zwanzig Minuten später kehrten sie in die Küche zurück.
Jack breitete die Brieftasche des Mannes, die Handtasche der Frau und den Inhalt des Handschuhfachs auf dem Tisch aus. Dann begann er, die Gegenstände zu inspizieren.
Lyle schaute benommen drein. Das tat er, seit sie im leeren Reserveradabteil des Kofferraums eine .32er-Pistole gefunden hatten.
»Diese beiden Leute«, murmelte er. »Sie wollen mich töten.«
»Wie kommen Sie denn darauf?«, fragte Jack. »Nur weil sie auf Sie geschossen haben, Ihr Haus in Brand setzen und Sie mit ihrem Pkw überfahren wollten?«
»Das finde ich nicht witzig.«
Jack blickte von den Wagenpapieren und den Führerscheinen hoch, die er mittlerweile gefunden hatte. Er musste den Knaben ein wenig aufmuntern.
»Sie haben verdammt Recht, dass es nicht lustig ist. Vor allem ihnen die Klamotten auszuziehen.« Er krümmte sich innerlich, als er sich an den bleichen, gedrungenen, schwammigen Körper der Frau erinnerte. »In Gedanken habe ich sie ständig angezogen gesehen.«
Schließlich rang sich Lyle zu einem Lächeln durch. Dieser Mann war schon ein seltsamer Zeitgenosse.
»Okay«, sagte Jack. »Soweit ich aus den Daten erkennen kann, haben wir es mit einem Ehepaar zu tun, Carl und Elizabeth Foster.«
Lyle zog einen Stapel Visitenkarten aus der Handtasche und blätterte sie durch. »Mich laust der Affe!«
»Besser der als ich«, sagte Charlie.
Falls Lyle diese Bemerkung gehört hatte, so reagierte er nicht darauf. »Sie ist Madame Pomerol! Ich habe schon mal von ihr gehört. Sie war im Fernsehen bei David Letterman.«
Jack kannte sich bei den diversen Talkshows nicht besonders gut aus. »Ist sie eine große Nummer?«
»Das kann man wohl sagen. Und zwar auf der Upper East Side. Soweit ich weiß, ist sie dort seit ein paar Jahren ein ganz heißer Tipp. Meine Kunden nennen ihren Namen immer wieder – viele haben die Pomerol sogar regelmäßig aufgesucht.«
»Da haben Sie’s«, sagte Jack. »Jetzt wissen Sie, wer hinter Ihnen her war, und Sie wissen auch, weshalb.«
»Sie sind von der Upper East Side?« Charlie konnte nur staunen. »Wie kommt es dann, dass sie so einen alten Schlitten fahren?«
Jack wollte ihm erklären, dass genau dies das Klügste sei, das man in der City tun konnte, doch Lyle schnitt ihm das Wort ab.
»Dieses Biest!«, murmelte er und starrte noch immer auf Madame Pomerols Visitenkarte. »Sie hat tatsächlich versucht, mich umzubringen!«
»Vergessen Sie nicht, dass es ihr Ehemann war, der den Wagen gelenkt hat«, meinte Jack. »Für mich sieht das nach einer konzertierten Aktion aus.«
»Ja, sicher, aber ich wette, dass sie es ist, die das Ganze eingefädelt hat.«
Charlie ergriff das Wort. »Ja, schön, aber im Grunde ist es doch völlig egal, wer hier der Kopf ist. Im Augenblick sieht es so aus, dass in unserer Garage zwei splitternackte Weiße gefesselt herumliegen – wie Kälber, die auf den Schlachter warten. Was sollen wir mit ihnen tun?«
»Das weiß ich noch nicht.« Jack hob die Schultern. Im Augenblick war seine Improvisationsgabe gefragt. Gewöhnlich nahm er jeden Job wenigstens mit einem groben Plan in Angriff, doch heute hatten die Ereignisse ihn förmlich überrollt. »Die brennendere Frage ist: Was sollen wir ihnen antun?«
Charlie schaute Jack fragend an. »Was meinen Sie mit ›ihnen antun‹? Ich weiß, dass sie uns ans Leder wollten …«
»Sie haben versucht, uns zu töten, Charlie«, schimpfte Lyle. »Sie wollten uns nicht nur ans Leder, sie wollten uns beseitigen! Vergiss das nicht!«
»Na schön. Sie haben also versucht, uns alle zu machen. Das gibt uns jedoch noch lange nicht das Recht, das Gleiche mit ihnen zu tun.« Er fingerte wieder an seinem wwjd-Anstecker herum. »Wir müssen ihnen sozusagen die andere Wange hinhalten und sie der Polizei übergeben.«
Jack gefiel diese Entwicklung der Dinge überhaupt nicht. »Wenn Sie das tun, dann müssen Sie mit diversen Anschuldigungen rechnen, als da wären tätliche Beleidigung, Menschenraub, Freiheitsberaubung und was sonst noch alles«, sagte er. »Wollen Sie
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