HMJ06 - Das Ritual
fand die Fernbedienung auf der Couch. Er wechselte mit einem Tastendruck auf den Weather Channel. »Dann kann ich ja gleich mal nachsehen, was der Wetterbericht sagt.«
Das Bild des Weather Channel erschien, verschwand aber sofort wieder und wurde durch den laufenden Film des Cartoon-Network-Kanals ersetzt. Verärgert drückte Lyle auf verschiedene Tasten, doch immer wieder schaltete sich der Cartoon-Kanal ein.
»Was für ein Scheiß ist das denn?«
Er ging zum Fenster und schaute hinaus.
»Was suchst du?«, fragte Charlie.
»Ach, ich habe gehört, dass Kinder sich manchmal einen Spaß daraus machen, mit Universal-Fernbedienungen die Fernseher ihrer Nachbarn durcheinander zu bringen.«
Auf der Straße vor dem Haus war niemand zu sehen.
»Vielleicht sind es die Fosters, weißt du, die sich an unseren Köpfen zu schaffen machen.«
»Das ist doch viel zu billig, sogar für sie. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass sie heute Morgen ganz andere Sorgen haben.«
Zur Hölle damit, dachte er und schlug mit der Hand auf den Netzschalter.
Der Bildschirm wurde dunkel. Doch keine Sekunde später flackerte er schon wieder auf. Lyle betätigte ein halbes Dutzend Mal hintereinander den Schalter, doch der verdammte Fernseher schaltete sich immer wieder selbst ein.
Charlie meldete sich zu Wort. »Lass mich mal.«
Er fasste hinter den Fernseher, zog den Netzstecker heraus und ließ das Gerät verstummen.
Lyle bildete mit den Fingern das Victory-Zeichen. »Warum bin ich nicht auf diese Idee gekommen …?«
Sie zuckten beide zusammen, als der Bildschirm sich wieder aufhellte. Diesmal war Jerry – die Maus – damit beschäftigt, den Schädel von Tom – dem Kater – mit einer Bratpfanne platt zu klopfen. Lyle deutete auf den Netzstecker, den Charlie noch immer festhielt.
»Du hast offenbar den falschen erwischt.«
»Der andere ist der vom Videorecorder. Sieh doch, das Display ist noch erleuchtet.«
»Zieh ihn trotzdem raus.«
Charlie griff erneut hinter den Fernsehapparat und zog an der anderen Schnur, aber Tom und Jerry prügelten sich weiter.
Charlie ließ die beiden Netzkabel fallen, als wären es lebendige Giftschlangen. »Wer verarscht hier wen, Mann?«
»Hey, mach mich nicht an. Du bist hier der Chefelektroniker. Mach du dir einen Reim darauf.« Aber Charlie ging an ihm vorbei und verschwand in der Küche. »Wo willst du hin?«
»Wo ich jeden Sonntag um zehn hin will. In die Kirche. Das solltest du zur Abwechslung auch mal tun, Brüderchen, denn dieser Fernseher ist ganz und gar nicht defekt. Er ist verflucht, wenn du weißt, was ich meine. Verflucht!«
Lyle wandte sich um und verfolgte, wie die Zeichentrickfiguren sich gegenseitig über den Schirm des ausgestöpselten Fernsehapparats hetzten. Nachdem er in der vergangenen Nacht Charlie mit einem tiefen Loch in der Brust gesehen hatte, wurde Lyle immer mehr von der Frage beherrscht, ob er allmählich durchdrehte. Die Sache mit dem Fernseher hingegen war keine Einbildung. Sie hatten es beide gesehen.
Aber dass ein Fernseher verflucht sein sollte, das glaubte er nun doch nicht. Es musste für diesen Effekt eine Erklärung geben, und zwar eine vernünftige – vielleicht befand sich in dem Kasten so etwas wie eine Batterie oder ein Akku –, und er würde sie finden.
Lyle schlug den Weg zur Garage ein, um seinen Werkzeugkasten zu holen …
3
Jack saß bei Julio’s an einem der hinteren Tische und betrachtete prüfend seinen jüngsten potenziellen Kunden. Der Mann hatte sich als Edward vorgestellt, ohne einen Nachnamen zu nennen. Eine Vorsichtsmaßnahme, die Jack durchaus zu würdigen wusste.
Ein paar von den Stammgästen saßen bereits an der Bar und genehmigten sich die erste Dröhnung des Tages. Morgendliche Sonnenstrahlen durchdrangen die Beerdigungsprozession toter Grünpflanzen, Hängebüsche und Spinnenpflanzen im Schaufenster und wanderten dann weiter, um die dichte Wolke aus Tabaksqualm zu erhellen, die über der Theke hing. Jacks Tisch war der einzige, der nicht mit umgedrehten Stühlen belegt war. Die nur wenig kühlere Luft im dunkleren hinteren Teil des Etablissements würde sich nur kurze Zeit halten. Alles sprach dafür, dass ein brütend heißer Tag bevorstand. Julio hatte den Hinterausgang geöffnet, um ein wenig Durchzug zu schaffen, so dass der Geruch von schalem Bier hinausgeweht wurde, ehe er die Tür wieder schloss und die Klimaanlage einschaltete.
Jetzt näherte er sich mit einer Kaffeekanne in der Hand.
»Willst
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