HMJ06 - Das Ritual
»wie sind Sie an meinen Namen gekommen?«
»Jemand erzählte mal, er hätte Ihre Dienste in Anspruch genommen. Er meinte, Sie lieferten gute Arbeit und gehörten nicht zu der Sorte, die sich mit langem Gerede aufhält.«
»Tatsächlich? Würde es Ihnen was ausmachen, mir zu verraten, wer dieser nette Zeitgenosse war oder ist?«
»Oh, ich glaube, er möchte nicht, dass ich zu viel von ihm erzähle, aber er äußerte nur Gutes über Sie. Allerdings nicht über Ihr Honorar. Das fand er ganz und gar nicht erfreulich.«
»Wissen Sie vielleicht, was ich für Ihren unbekannten Freund erledigt habe?«
»Ich glaube, ihm wäre auch nicht recht, wenn ich mir darüber das Maul zerrisse.« Er beugte sich vor und senkte die Stimme. »Zumal es nicht ganz legal war.«
»Sie sollten nicht alles glauben, was Sie hören«, sagte Jack.
»Wollen Sie mir etwa weismachen«, sagte Edward und grinste koboldhaft, »dass Sie mitteilungsbedürftig sind wie ein Marktweib und aus reiner christlicher Nächstenliebe völlig gratis arbeiten?«
Jack musste lächeln. »Nein, aber ich versuche immer, in Erfahrung zu bringen, wie meine jeweiligen Kunden ausgerechnet auf mich gestoßen sind. Und ich möchte gerne wissen, wer von denen den Mund nicht halten kann.«
»Wegen dem Burschen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Er gehört zur vorsichtigen Sorte. Er hat mich zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet. Durchaus möglich, dass ich der Einzige bin, dem er es erzählt hat.«
Jack entschied für sich, die Frage nach der Informationsquelle einstweilen zurückzustellen und erst einmal in Erfahrung zu bringen, was dieser kleine Mann von ihm wollte.
»In Ihrem Anruf war von Ihrem Bruder die Rede.«
»Ja. Es geht um meinen Bruder Eli. Ich mach mir große Sorgen um ihn.«
»In welcher Hinsicht?«
»Ich befürchte, er ist … nun ja, ich weiß nicht so richtig, wie ich es ausdrücken soll.« Er schien fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen zu haben. »Ich befürchte, dass er sich selbst schon in naher Zukunft in allergrößte Schwierigkeiten bringen wird.«
»In welche Art von Schwierigkeiten, und was verstehen Sie unter ›naher Zukunft‹?«
»In den nächsten Tagen, fürchte ich.«
»Und in welche Schwierigkeiten?«
»Er wird gewalttätig, denke ich.«
»Meinen Sie damit, dass er loszieht und andere Leute verprügelt?«
Edward zuckte die Achseln. »Vielleicht sogar noch Schlimmeres. Ich weiß es nicht.«
»Schlimmeres? Haben wir es etwa mit einem Amokläufer zu tun?«
»Ich kann Ihnen versichern, dass er die meiste Zeit ein absolut anständiger und ganz normaler Zeitgenosse ist. Er betreibt mitten in der Stadt ein eigenes Geschäft, aber zu gewissen Zeiten …, nun …, ich glaube, man kann sagen, da dreht er regelrecht durch.«
»Und Sie meinen, dass eine dieser Gelegenheiten unmittelbar bevorsteht. Weshalb Sie mit Ihrem Besuch nicht bis morgen warten konnten.«
»Genau.« Er legte die Hände um die Kaffeetasse, als wollte er sie wärmen. Aber draußen war nicht Januar, sondern August. »Ich fürchte, es ist bald wieder so weit.«
»Und was bringt Sie auf diesen Gedanken?«
»Der Mond.«
Jack lehnte sich zurück. O nein. Er wird mir doch wohl nicht erzählen, sein Bruder sei ein Werwolf. Bitte nur das nicht.
»Warum? Haben wir Vollmond?«
»Im Gegenteil. Morgen ist Neumond.«
Neumond … das erzeugte bei Jack ein unangenehmes Rumoren in der Bauchgegend und ließ ihn in Gedanken ein paar Monate in die Vergangenheit zurückspringen, als die Entnahme eines ganz speziellen Blutes aus einer ganz speziellen Vene genau bei Neumond hatte stattfinden müssen.
Aber dies hier klang nicht so, als handelte es sich um einen auch nur andeutungsweise ähnlichen Vorgang.
»Ist er vielleicht auf eine ganz besondere Art und Weise mondsüchtig?«
»So ähnlich könnte man es ausdrücken«, erwiderte Edward. »Aber es ist nicht so, dass es zu jedem Neumond passiert. Nur diesmal scheint es auf diesen Termin zu fallen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Eli hat es mir gesagt.«
»Er hat Ihnen gesagt, er werde morgen Nacht jemanden auf mischen und …«
»Es könnte auch heute Nacht passieren. Oder Dienstagnacht. Die Neumondphase dauert länger als nur einen Tag, wie Sie sicherlich wissen.«
»Warum sollte er Sie darüber unterrichtet haben?«
»Ich glaube, er wollte nur, dass ich Bescheid weiß.«
Jack konnte sich die Antwort auf seine nächste Frage denken, fand jedoch, dass er sie trotzdem stellen sollte. »Können Sie mir
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