Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
Dozenten Täschler denken. Ihm wären solche Anfängerfehler sicher nicht passiert. Er dachte an die Fälle, die sie an der Hochschule besprochen hatten, und wie leicht es ihm gefallen war, alle möglichen Aspekte in Erwägung zu ziehen. Täschler bedachte seine Beiträge häufig mit einem anerkennenden Nicken, was das höchstmögliche Lob in einer Vorlesung bedeutete. Andererseits hatte er immer Schwierigkeiten damit gehabt, vor anderen einen Fehler zu machen. Passierte es dennoch, neigte er anschließend dazu, Ideen für sich zu behalten. Täschler bemerkte das und bat ihn nach einer Vorlesung zu sich ins Büro.
»Kepplinger, Sie sind ein verdammt schlauer Bursche. Wissen Sie, was Sie daran hindert, ein ebensolcher Kriminalist zu werden?« Er wusste keine Antwort. Besser gesagt traute er sich nicht, etwas zu sagen.
»Genau das ist Ihr Problem«, folgerte Täschler, als könnte er Gedanken lesen. »Sie wollen keine Fehler begehen. Sie wollen immer alles perfekt machen oder gar nicht.«
Er musste ihm recht geben. Wenn er darüber nachdachte, hatte er schon immer zum Perfektionismus geneigt. An Dingen, die ihm nicht gelingen wollten, verlor er schnell das Interesse und widmete sich einer anderen Sache. Immer getrieben davon, den Dingen auf den Grund zu gehen und dabei das Letzte aus sich herauszuholen. »Kepplinger, wenn Sie mit Ih ren eigenen Fehlern nicht gut umgehen lernen, werden Sie niemals das erreichen, was Sie sich vorgenommen haben«, sagte Täschler am Ende des Gesprächs. »Gönnen Sie sich bei jedem Fall, den Sie bearbeiten, mindestens zehn Fehler und machen Sie das Beste daraus. Denken Sie darüber nach.«
Nach diesem Gespräch hatte er tatsächlich versucht, etwas an seinem Verhalten zu ändern. Aber er hatte nicht das Gefühl, dass es ihm gelang.
Nun dachte er daran, dass ihm heute bereits drei Fehler un terlaufen waren. »Bleiben noch sieben«, knirschte er vergrämt.
Wenn alles vorbei wäre, würde er mit dem Dozenten über den Fall sprechen. Darüber, was er hätte besser machen können.
Es war sechzehn Uhr fünfzehn, und die Nachmittagshitze war beinahe unerträglich geworden.
Am Telefon hatte er seiner Lebensgefährtin versprochen, am Abend pünktlich zu Hause zu sein. Unterwegs verpasste er beinahe eine Abzweigung. In letzter Sekunde lenkte er das Fahrzeug dann doch wieder zurück auf die ursprüngliche Spur, die geradeaus führte. Dabei übersah er einen Lastwagen, den er um Haaresbreite streifte. Sein Wagen kam ins Schlingern. Nur mit Mühe bekam er ihn wieder unter Kontrolle. Eine Weile fuhr er so langsam, dass einige Fahrzeuge zwischen ihm und dem Lastwagen einscheren konnten. Er befürchtete, der Lkw-Fahrer würde seine Autonummer notieren und Anzeige erstatten. Danach fuhr er lange Zeit im Schneckentempo weiter, um sich von dem Schreck zu erholen. Völlig verschwitzt kam er auf einem kleinen Waldparkplatz an, den er auf einer Landkarte ausgesucht hatte. Dieses Mal parkte er auf der anderen Seite des Forsts. Er lief kreuz und quer durch den Mischwald und das dichte Unterholz. Nach einer halben Stunde fand er endlich die Stelle. Als er sich dem Leichnam bis auf wenige Schritte genähert hatte, sah er, dass Wildtiere den Körper zerrissen hatten. An vielen Stellen konnte man bereits die Knochen erkennen, und auf dem Boden wimmelte es von Maden. »Mein Gott!«, schrie er laut und erbrach sich. Anschließend rannte er panisch zum Parkplatz zurück. Unterwegs begegnete er einer Joggerin, die ängstlich zur Seite wich. Als er an seinem Wagen ankam, trank er hastig einige Schlucke Wasser. Beim Einsteigen bemerkte er, dass seine Kleidung an mehreren Stellen eingerissen und völlig verschmutzt war. Er hatte das Gefühl, die Nerven zu verlieren. »Das habe ich nicht gewollt«, sagte er immer wieder laut vor sich hin und erinnerte sich währenddessen daran, dieselben Worte in seiner Kindheit bei der Beichte benutzt zu haben, wenn er etwas ganz Schlimmes angestellt hatte. Doch dieses Mal blieb die wohltuende Absolution aus. Er fluchte und raufte sich verzweifelt die Haare. Nach einer Weile kam er zu dem Schluss, dass er nicht die Verantwortung für das trug, was passiert war.
»Er allein trägt die Schuld an allem!«, brüllte er und trommelte mit den Fäusten auf das Lenkrad. Nachdem er sich beruhigt hatte, überlegte er, wie er weiter vorgehen würde. Zuerst rief er seine Lebensgefährtin an, die den Hörer nicht abnahm. Er hinterließ eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter und gab vor,
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