Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
den Fingern auf das Lenkrad, Lea und er würden viel zu spät zu dem vereinbarten Treffen in der Justizvollzugsanstalt in Stammheim kommen.
»Wir hätten den Zug nehmen sollen«, brummte er missmutig.
»Oder den kleinen Umweg über die Autobahn in Kauf nehmen«, wiederholte Lea ihren Vorschlag.
»Kann schon sein.«
»Hey, schlecht gelaunt heute?«
»Eigentlich nicht. Heute Morgen hatte ich das Gefühl, in dem Fall etwas klarer zu sehen.«
»Inwiefern?«
Er erzählte ihr von den Gedanken, die er sich zu den laufenden Ermittlungen gemacht hatte.
»Das würde aber bedeuten, dass wir von vorne beginnen können, wenn Kaufmann als Tatverdächtiger ausscheidet.«
»Nicht ganz«, erwiderte er. »Vielleicht können wir aufgrund der Fakten ein Täterprofil erstellen lassen. Möglicherweise haben wir bislang einen entsprechenden Personenkreis außer Acht gelassen.«
»Damit habe ich keine Erfahrung. Ich bin trotzdem der Meinung, dass wir bei Gerd Jessen tiefer nachforschen sollten.«
»Vielleicht hast du recht. Schaden kann es nicht. Ich traue ihm jedenfalls keinen Mord zu, wenn du darauf anspielst. Schon gar nicht etwas von langer Hand Geplantes, falls wir es damit zu tun hätten. Dafür ist er mir zu einfach strukturiert.«
Im Radio lief Greenday.
Summer has come and passed. The innocent can never last, wake me up when September ends .
Er drehte den Lautstärkeregler ein paar Millimeter nach rechts.
»Dass er ab und an gewalttätig wird, passt für mich dazu.«
»Oder völlig sinnlos Autos zerkratzt«, sagte sie mit einem provokanten Unterton.
»Das halte ich für eine Verzweiflungstat. Er war an dem Abend betrunken. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn man erfährt, dass die eigene Tochter seit Tagen als vermisst gilt und es keinerlei Hinweise oder Lebenszeichen von ihr gibt.«
»Ich würde mich selbst auf die Suche machen. Und zwar mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stünden«, sagte Lea entschlossen.
»Ich auch, aber er scheint zu denken, Probleme mit Gewalt lösen zu können. Möglicherweise hat er aus seiner Sicht auch hin und wieder Erfolg damit. Oder seine Ausraster sind reine Hilflosigkeit.«
Lea blickte nachdenklich aus dem Seitenfenster. Wenige Meter neben der Straße erstreckte sich die braun-gelbe Wasseroberfläche des Neckar. Am gegenüberliegenden Ufer hielt jemand eine Angel in den gemächlich dahinkriechenden Fluss. Sie erinnerte sich an die Auseinandersetzung mit ihrem Exfreund. Wie sie verzweifelt um sich geschlagen und ihn dabei schwer verletzt hatte. Die Erinnerung erzeugte einen bitteren Geschmack auf ihrer Zunge.
»Kann gut sein«, sagte sie leise.
Lea war kurz davor, die Geschichte zu erzählen. Sie blickte schweigend einem Kohlefrachter hinterher, der langsam in die entgegengesetzte Richtung tuckerte, und suchte vergeblich nach einem passenden Einstieg.
Vierzig Minuten später sahen sie von Weitem die drei Gebäudekomplexe der Vollzugsanstalt.
Er fuhr wie ein wahnsinniger, mahnte sich dann aber zur Ruhe und lenkte den Wagen auf den Parkplatz eines Möbelhauses. Als er den Artikel zum zweiten Mal aufschlug, wurde ihm klar, dass er sich erneut wie ein Idiot benommen hatte. Die Überschrift lautete: Keine heiße Spur bei Suche nach vermisstem Kind.
Im Bistro hatte er den Text nur überflogen und befürchtet, die Polizei wäre ihm auf die Schliche gekommen. Dem Bericht nach liefen die Fahndungsmaßnahmen zwar auf Hochtouren, wie der Leiter der Kriminalpolizei zitiert wurde, aber der entscheidende Hinweis sei bislang nicht eingegangen. Unter normalen Umständen hätte ihm diese Nachricht gelegen kommen müssen. Aber sein Plan war ein anderer. Wütend schleuderte er die Zeitung auf den Beifahrersitz. Als er den Wagen startete, kam ihm eine Idee. Er beschloss, in die Scheune zu fahren und in Ruhe darüber nachzudenken.
Die Vernehmung wirkte befremdlich. Sie verfolgten das Geschehen auf einem Monitor im angrenzenden Zimmer. Die Stimmen der Beteiligten wurden über einen Lautsprecher übertragen. Immer wieder wurde die Befragung von den Anwälten unterbrochen. Kepplinger zog seine Jacke aus. Er war froh, dass sie vor dem Verhör noch ausreichend Zeit gefunden hatten, mit den Kollegen über die gesamte Tragweite des Falls zu sprechen. Die Verteidiger waren eine Stunde zu spät gekommen.
Bislang war kein Wort über die vermisste Manuela Jessen gefallen. Kaufmann wollte unbedingt wissen, wie die Ermittler auf ihn gekommen waren. Seine Anwälte unterstützten ihn bei seiner
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