Hochzeit im Herbst
Dass niemand für das, was geschehen war, verantwortlich gemacht werden konnte? Das stimmte nicht, natürlich gab es Verantwortliche, aber die hatten für sie weder Namen noch Gesichter. Deshalb blieb ihr nichts, als seine Hand an ihre Wange zu legen.
„Ich liebe dich.”
„Sarah.” Einen kurzen Moment lang sah er sie mit weichem Blick an.
„Meine schöne Sarah.” Seine Lippen streiften kurz ihre, dann ging er hinaus.
Rebecca bewegte sich im Schlaf und murmelte leise vor sich hin.
John verließ das Haus in dem Bewusstsein, dass er nicht viel tun konnte.
Die Kornfelder um ihn herum waren zertrampelt und abgebrannt, der Boden war blutdurchtränkt, davon brauchte er sich nicht erst mit eigenen Augen zu überzeugen, genauso wenig wie er wissen wollte, ob die Soldaten die Männer, die beim Kampf getötet worden waren, mitgenommen oder einfach zurückgelassen hatten.
Es war sein Land, verdammt. Nächstes Frühjahr musste er die Felder wieder beackern, und er war davon überzeugt, dass die Geister der Toten ihn verfolgen würden, wenn ihre sterblichen Überreste nicht endlich beerdigt wurden.
Er schloss seine rechte Hand fest um die Miniatur seines Sohnes, die er stets in seiner Hosentasche bei sich trug. Er weinte nicht, während er den harten Blick über das Land schweifen ließ. Ohne das Land war er nichts.
Und ohne Sarah war er verloren. Bevor er zuließ, dass seinen Töchtern etwas zustieß, würde er lieber selbst vor die Hunde gehen.
Doch ohne seinen Jungen musste er leben. Er hatte keine andere Wahl.
Mit finsterer Miene stand er lange Zeit einfach nur da, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, sein Blick ruhte auf dem Land. Als er ein Wimmern hörte, runzelte er die Stirn. Nach dem Vieh hatte er doch gesehen, es schien alles in Ordnung gewesen zu sein. Ihm war nicht aufgefallen, dass ein Kalb fehlte. Oder war einer der Hunde aus dem Stall ausgebrochen, in den er sie gesperrt hatte, um sie vor herumirrenden Kugeln zu bewahren?
Noch immer glaubte er an ein verwundetes Tier und folgte dem Wimmern bis hin zum Räucherhaus. Obwohl er sein ganzes Leben lang Farmer gewesen war, erfüllten ihn doch jedes Mal Trauer und Schuldgefühle, wenn er gezwungen war, ein Tier zu töten, um es so aus seinem Elend zu erlösen.
Aber was da wimmerte, war kein Tier, sondern ein Mensch. Ein verdammter Blaurock, der hier auf dem MacKade-Land verblutete. Einen Augenblick lang packte ihn ein schier unbändiger Triumph. Krepier hier, dachte er. Stirb so, wie mein Sohn wahrscheinlich gestorben ist auf dem Land eines fremden Mannes. Vielleicht warst du es ja sogar, der ihn getötet hat.
Gefühllos drehte er den Mann mit der Stiefelspitze auf den Rücken. Die Uniform des Soldaten war blutdurchtränkt. Dieser Anblick erfüllte ihn mit grimmiger Befriedigung.
Und dann sah er das Gesicht. Es handelte sich nicht um einen Mann, sondern um einen Jungen. Seine weichen Züge waren schmerzverzerrt, und die Augen glänzten fiebrig. Sein Blick irrte Hilfe suchend umher und blieb dann auf John liegen.
„Daddy? Daddy, ich bin wieder zu Hause.”
„Ich bin nicht dein Daddy, Junge.”
Die flatternden Lider senkten sich langsam. „Hilf mir. Bitte hilf mir. Ich sterbe …”
Shane umklammerte im Schlaf die Bettdecke und wühlte den Kopf tiefer ins Kissen.
3. KAPITEL
E s war einer der aufregendsten Momente in Rebeccas Leben – einfach so dazustehen und die milde Luft, die den Blütenduft von frühen Chrysanthemen und Spätsommerrosen trug, einzuatmen, während sich über ihr ein tiefblauer, wolkenloser Himmel wölbte. Vor ihr lag das MacKade-Inn.
Da sie schon oft in Europa gewesen war, kannte sie Frankreichs beeindruckende Kathedralen, Italiens romantische Villen und die berühmten Ruinen Griechenlands. Doch dieses urwüchsige, düstere Gemäuer aus rohem Stein und Holz berührte sie mehr als die Türme von Notre-Dame.
Vielleicht deshalb, weil sie wusste, dass dieses Haus ein Geisterhaus war.
Sie wünschte sich, sich öffnen zu können für die Geheimnisse, die es in sich barg. Sie wollte sie ergründen. Ihre Hingabe an die Wissenschaft hatte sie gelehrt, dass es auf der Welt noch vieles gab, was der Erklärung harrte.
Als Wissenschaftlerin fragte sie immer nach dem Was, Wie und Warum.
So ging es ihr auch jetzt mit dem einstigen Barlow-Haus, dem jetzigen MacKade-Inn. Wären ihr die Legenden nicht bekannt gewesen, die sich darum rankten, hätte sie in ihm wohl kaum mehr gesehen als ein von einer doppelstöckigen Veranda
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