Hochzeit im Herrenhaus
kalt. Deshalb wollte ich möglichst schnell nach Hause reiten, bevor es zu schneien begann, zog meinen Hut tiefer in die Stirn und klappte den Mantelkragen hoch. Abgesehen vom brillanten Galopp meines neuen Jagdpferds ist mir nichts aufgefallen.”
“Trotz des Wetters, Ihrer Eile und des Versuchs, sich vor der Kälte zu schützen, müssten Sie blind gewesen sein, wenn Sie eine lauernde Gestalt im Wald da drüben nicht entdeckt haben. Dort gibt es kein Unterholz, die Bäume stehen weit auseinander, und kein Stamm ist dick genug, um ein Kind zu verbergen, geschweige denn einen ausgewachsenen Mann. Also ist anzunehmen, dass sich der Schurke ein gutes Versteck gesucht hat.”
Nach einem wehmütigen Blick auf seine blank polierten Reitstiefel folgte er seiner liebenswerten Gefährtin zum gegenüberliegenden Wald. Obwohl der Stolz seines peniblen Kammerdieners innerhalb weniger Sekunden mit Schlamm und Schneematsch bedeckt war, musste er lächeln. Miss Milbank erinnerte ihn lebhaft an einen heiß geliebten Terrier, den er in seiner Kindheit besessen hatte. Dieses hartnäckige kleine Geschöpf hatte es niemals aufgegeben, verheißungsvollen Spuren zu folgen, sobald ihm eine interessante Witterung in die Nase gedrungen war.
“Aha!”, rief sie triumphierend und spähte in den Graben, den man von der Straße aus unmöglich einsehen konnte. “Hier muss er sich verkrochen und die Ankunft seines Opfers abgewartet haben. Meinen Sie nicht auch, Sir?”
Das konnte er nicht bestreiten. Allmählich fragte er sich, ob es richtig gewesen war, den ärgerlichen Zwischenfall auf die leichte Schulter zu nehmen. “Mein ganzes bisheriges Leben habe ich in dieser Gegend verbracht – und diesen tiefen Graben nie bemerkt.”
“Gehört diese Stelle zu Ihren Ländereien?”
“Nein, einem gewissen Hastie, einem Nachbarn und engen Freund der Familie.”
Verwundert starrte sie ihn an. “Etwa Colonel Hilary Hastie?”
“O ja, in der Tat! Kennen Sie ihn?”
Annis nickte. “Zwei- oder dreimal bin ich ihm begegnet. Er war mit meinem Großvater befreundet und ein leidenschaftlicher Jäger, wenn ich mich recht entsinne. Damals kam er oft in die Shires, und er versäumte keine einzige Saison, bis ihm seine Vorliebe für Portwein und Brandy zum Verhängnis wurde.”
“Klingt ganz nach dem alten Colonel”, bestätigte der Viscount. “Er züchtet immer noch Pferde. Aber er steigt nur mehr selten in den Sattel. Übrigens, das Pferd, das ich an jenem Tag ritt, stammt aus seinem Stall.”
“Ihr Angreifer war sicher zu Fuß unterwegs, Sir. Sich selbst konnte er hier verstecken – ein Pferd wohl kaum. Oder vielleicht da hinten …”, Annis zeigte in den Hintergrund des Waldes, wo die Bäume etwas dichter beisammenstanden, “ … während er Ihnen in diesem Graben auflauerte.”
Schweigend dachte der Viscount nach. Diese Möglichkeit ließ sich nicht so einfach von der Hand weisen, wie er es noch vor wenigen Minuten getan hätte. “Also glauben Sie, er hatte es auf mich abgesehen?”
“Ja, das nehme ich an.”
“Nun, wahrscheinlich haben Sie die richtigen Schlüsse gezogen, Miss Milbank. Diese Straße wird selten benutzt – normalerweise nur von Personen, die mich besuchen. Wer Greythorpe Magna ansteuern möchte, ein Dorf an der Ostgrenze meines Besitzes, würde auf der Hauptstraße bleiben. Da kommt man schneller voran. Von der Stadt aus ist die Strecke wesentlich kürzer.
“Und die Abzweigung nach rechts, dort hinten?”, fragte Annis auf dem Rückweg zum Phaeton.
“Die führt nur zu Lord Fanhopes Grundbesitz – und zu den Cottages der Leute, die für ihn arbeiten.” Eine Zeit lang überlegte er, und schließlich schüttelte er den Kopf. “Eine halbe Meile lang gibt es kein offenes Land an dieser Straße. Wenn man ein Mitglied der Familie Fanhope überfallen wollte, würde man woanders auf der Lauer liegen, nicht in diesem Graben. Und das Tatmotiv? Vermuten Sie, jemand hat einen Mordanschlag auf mich verübt?”
“So weit würde ich nicht gehen, Sir”, erwiderte er, zum ersten Mal leicht verunsichert. “Bevor wir die Beweggründe des Schurken ergründen, sollten wir die Fakten erörtern, die wir bereits gesammelt haben.”
Der Viscount wartete, bis sie auf dem Phaeton Platz genommen hatten. Dann bat er Annis, weiterzusprechen, inzwischen von wachsendem Interesse erfüllt.
“Nach allem, was ich bis jetzt festgestellt habe”, begann sie, “sind Sie ein Gentleman, der nur selten von seiner Routine abweicht. Um es
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