Hochzeit im Herrenhaus
geschrieben, du würdest in absehbarer Zeit nach Hause fahren?
Sie war nicht hierhergekommen, um sich mit den Schwierigkeiten der Bewohner von Greythorpe Manor und ihrer Hausgäste zu beschäftigen. Und das durfte sie auch nicht veranlassen, länger unter diesem Dach zu bleiben. Je früher sie ihre Abreise vorbereitete, desto besser.
Trotzdem hörte sie sich sagen: “Irgendetwas stimmt nicht mit Ihnen, Mr. Marshal. Grämen Sie sich vielleicht wegen einer Frau oder …”
“Nichts dergleichen”, unterbrach er sie unbehaglich und zupfte an seinem Krawattentuch, als wäre es plötzlich zu eng geworden.
“Dann haben Sie vermutlich finanzielle Sorgen. Falls das zutrifft, wird Cousin Deverel Ihnen gewiss helfen.”
Offenbar hatte sie die falschen Worte gewählt, denn Tom erbleichte. Allein schon der Gedanke, mit einem solchen Ansinnen an den Viscount heranzutreten, schien ihn maßlos zu erschrecken. “Verdammt, Miss Milbank, das kann ich Seiner Lordschaft
niemals
zumuten”, betonte er und sank in den Sessel vor dem Schreibtisch. “Er ist ein Greythorpe! Kein Marshal! Nein, es ist einfach – unmöglich!”
“Seltsam … Wenn ich in der Klemme steckte, und er wäre ein naher Verwandter, würde ich mich sofort an ihn wenden.”
“Genau das ist es ja!”, platzte Tom heraus. In diesem Moment glich er trotz seiner einundzwanzig Jahre einem unglücklichen Kind. “Eine schlichte
Klemme
kann man’s nicht nennen. Vor einer Weile habe ich etwas zu leichtfertig gespielt. Und jetzt bin ich bis über beide Ohren verschuldet.”
Mit jungen Gentlemen, die dem Lockruf der Spielsalons erlagen, hatte Annis keine Erfahrungen gesammelt. Aber sie wusste, dass eine Moralpredigt unangebracht wäre. Laut ihrem verstorbenen Großvater, dessen Ansichten und Ratschläge sie sehr geschätzt hatte, gab es kaum einen Mann, der diesem Laster
nicht
hin und wieder frönte. Natürlich erkannte ein kluger Spieler, mochte er gewinnen oder verlieren, wann er aufhören musste. Niemals riskierte er seinen letzten Penny. Und ein echter Gentleman hielt es für eine Ehrensache, seine Spielschulden unverzüglich zu bezahlen, selbst wenn seine Schneiderrechnungen warten mussten.
“Sind Sie nicht einmal imstande, die Summe zu entrichten, wenn Sie Ihre nächste Apanage bekommen?”, fragte sie sanft und erriet die Antwort, noch bevor Tom den Kopf schüttelte.
“Nur unter uns beiden, Miss Milbank – deshalb bin ich hier. Ich wollte meinen Gläubiger um Aufschub bitten. Gewiss, ich habe meinem Vater geschrieben. Aber wer weiß, wann der Brief ihn erreicht? Er reist mit Mama durch ganz Italien, und ich habe keine Ahnung, zu welchem Zeitpunkt und wie lange sie sich an diesem oder jenem Ort aufhalten. Doch das spielt keine Rolle. Bis zum Monatsende muss ich den Betrag auftreiben.”
Bestürzt biss sie sich auf die Lippe, denn sie gewann den Eindruck, dieses Ultimatum wäre ihm erst nach seiner Ankunft hier in Greythorpe Manor gestellt worden. “Wem schulden Sie das Geld, Tom?”
“Charles Fanhope.”
“Sicher lebt er nicht mehr in Oxford? Er müsste sein Studium längst beendet haben.”
“O ja, er ist schon vor Jahren hierher zurückgekehrt. Trotzdem besitzt er immer noch ein Haus in dieser Stadt – das heißt, teilweise gehört es einem Freund, der mit seiner Mutter darin wohnt. An der Oberfläche geht es da durchaus ehrbar zu, kleine Kartenpartys und so …” Tom errötete. “Aber es gibt auch Räume, die anderen Zwecken dienen.”
Wieder einmal erinnerte sie sich an Informationen, die sie ihrem weltgewandten Großvater verdankte, und die er ihr freizügig verraten hatte, obwohl die meisten Gentlemen seiner Generation ein junges weibliches Familienmitglied niemals in solche Dinge eingeweiht hätten. “Ah, ich verstehe – illegales Glücksspiel … Über diese Etablissements weiß ich Bescheid.” Zufrieden lehnte sie sich im bequemen Ledersessel Seiner Lordschaft zurück, nachdem endlich eine Frage geklärt war, die ihr schon seit Tagen Rätsel aufgab. “Sieh mal einer an!
Das
ist also die Methode, mit der Mr. Fanhope seinen aufwendigen Lebensstil finanziert. Darüber habe ich mich bereits gewundert.”
“Sobald er an einem Spieltisch sitzt, scheint er sich mit dem Teufel zu verbünden, denn er hat geradezu unheimliches Glück”, seufzte Tom. “Wie auch immer, für meine derzeitige Notlage bin ich selbst verantwortlich. Wenn ich gewinne, dann nur einen Pappenstiel. Und wenn ich verliere …”
Beschämt nannte er die Summe,
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