Hochzeit im Herrenhaus
Dienst versagte, fiel es ihr nicht schwer, seine gestammelten Dankesworte und die Beteuerung zu verstehen, er würde sämtliche Pflichten gern übernehmen.
“Dann müssen wir eben eine Unterkunft für Sie finden, Mr. Fletcher. Ich werde Greythorpe Manor erst nach der Rückkehr Seiner Lordschaft verlassen. Sicher wird er meinen neuen Dienstboten beherbergen – vorausgesetzt, Sie schießen nicht mehr auf ihn. Aber das muss ich erst einmal mit ihm besprechen … Übrigens”, fuhr sie fort, nachdem er seinen Lachreiz bezwungen hatte, “die Frau, der ich Sie zunächst anvertrauen werde, ist dem Viscount treu ergeben. Also wäre es besser, Sie verschweigen ihr, was Sie in Mr. Fanhopes Auftrag getan haben.”
“Aber Sie werden Seiner Lordschaft erzählen, dass ich der Schütze war?”
“Nein, eher nicht”, antwortete sie. Während sie ihm in den Wald folgte, wo er seine spärlichen Habseligkeiten unter der knorrigen Wurzel eines Baums hervorholte, ergänzte sie in Gedanken: Warum sollte Caroline wegen der lächerlichen, völlig überflüssigen Aktion ihres Bruders eine weitere Demütigung erleiden? Vielleicht ist es unter diesen Umständen am besten, wenn Deverel nichts von alldem weiß. Da sich Charles’ Hoffnungen, die seine Schwester betreffen, ohnehin erfüllen werden, bringt er den Viscount sicher nicht mehr in Gefahr …
Vor der Ankunft in Nanny Berrys Cottage erfuhr Annis etwas mehr über ihren neuen Diener. Zu ihrer Verblüffung hatte er Lesen und Schreiben gelernt, dank der Bemühungen eines jungen Captains in einem französischen Kriegsgefangenenlager.
Auch Nanny Berry hatte zu Beginn ihres Arbeitslebens eine gewisse Ausbildung genossen, als Zofe einer freundlichen Herrin. Nun versprach sie, Jack Fletcher noch einiges beizubringen, solange er bei ihr wohnte, und er würde ihr im Haushalt zur Hand gehen.
“Nein, Miss Milbank, das macht mir gar nichts aus”, versicherte sie, nachdem er in den Garten gegangen war, um Holz zu hacken. “Ich erinnere mich gut an Jacks Vater. So ein hübscher, tüchtiger Bursche war das … Nun freue ich mich auf die Gesellschaft seines Sohnes. Er wird hier in der Küche schlafen, am Boden vor dem Feuer. Allerdings hätte Seine Lordschaft gewiss nichts dagegen, wenn Sie den Jungen im Dienstbotentrakt unterbringen würden.”
“Gewiss nicht, Mrs. Berry”, bestätigte Annis. “Aber ich möchte seine Großzügigkeit nicht ausnutzen. Für Jack bin ich allein verantwortlich, weil er meinetwegen seine Stellung verloren hat.” In knappen Worten schilderte sie, was in Lord Fanhopes Spielsalon geschehen war.
Falls sie erwartete, die alte Frau mit diesem Geständnis zu überraschen, wurde sie enttäuscht. Eine Zeit lang schwieg Nanny Berry, dann seufzte sie. “Ja, davon habe ich gehört. Ich kannte Master Charles sein Leben lang. So ein boshafter, hinterlistiger kleiner Junge war das … Und meines Wissens ändern die Kinder ihren Charakter nicht, wenn sie erwachsen werden.”
“Also erregt seine derzeitige Notlage kein Mitleid?”, fragte Annis.
“Wohl kaum. Die meisten Dienstboten in Fanhope Hall bedauern ihn nicht. Wenn man mit ihnen redet, meinen fast alle, der junge Giles sei viel mehr wert als sein älterer Bruder.”
“Und Caroline? Anscheinend liebt sie Charles.”
“Nun ja, kein Wunder, Miss Milbank. Zwillinge fühlen sich immer sehr eng verbunden. Aber ich glaube, nicht einmal Miss Caroline ist blind für Master Charles’ Fehler. Sie kam ein paar Minuten vor ihm zur Welt. Und sie ist viel klüger. In seiner Kindheit war er ein schlechter Schüler, im Gegensatz zu ihr. Vielleicht lag’s an seiner schwierigen Geburt”, fügte Nanny Berry hinzu und zuckte die Achseln. “Damals erzählte die Hebamme, sein Kopf sei zu groß gewesen.”
Da die alte Frau in ihren Erinnerungen versank, beschloss Annis, sich zu verabschieden.
In diesem Moment kam Jack Fletcher in die Küche zurück, die Arme voller Brennholz. Er begleitete sie bis zum Waldrand, wo sie sich vorher zufällig getroffen hatten. Nachdem sie sich getrennt hatten, dachte sie bald nicht mehr an ihren neuen Dienstboten, und als sie im Haus ankam, vergaß sie, Sarah und Louise von ihm zu erzählen.
In den nächsten Tagen verstrich die Zeit viel zu langsam, und Annis versank in tiefer Melancholie. Obwohl sie immer wieder eine Beschäftigung suchte, ließ sich die trübe Stimmung nicht verscheuchen. Nur wenn sie mit Louise ausritt, besserte sich ihre Laune – allerdings nur kurzfristig.
Am schlimmsten
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