Hochzeit im Herrenhaus
waren die Stunden, die sie mit Sarah verbrachte. Ständig redete die Schwester des Viscounts über die bevorstehende Party. Annis musste ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um zu verbergen, dass sie jedes Interesse an diesem Ereignis verloren hatte und auch gar nicht daran teilnehmen wollte. Zudem hatte sie die Überzeugung gewonnen, es dürfte gar nicht stattfinden.
Lord Fanhope kehrte vor dem Viscount nach Hampshire zurück, und sein Besuch bot ihr wenigstens vorübergehend eine gewisse Abwechslung. Allzu viel hatte er nicht zu berichten, nur dass sein älterer Sohn und Erbe tatsächlich nach Oxford geritten und von dort zur Hauptstadt gereist war. Er hatte seine Spuren so geschickt verwischt, dass sein derzeitiger Aufenthaltsort nicht festgestellt werden konnte.
“Verzeihen Sie, wenn ich das sage, Sir”, begann Annis, während sie seine erstaunliche Bitte erfüllte, sie möge ihn zum Stall begleiten. “Obwohl Sie Ihren Sohn vergeblich gesucht haben, erscheinen Sie mir nicht sonderlich bekümmert.”
Der Baron seufzte tief auf. Aber seine Stimme nahm einen überraschend energischen Klang an. “Sosehr es mich auch beschämt, das zu gestehen, Miss Milbank – allzu traurig wäre ich nicht, wenn ich Charles nie wiedersehen würde. Viel zu lange habe ich vor dem miserablen Charakter meines Erben die Augen verschlossen – und ihn einfach gewähren lassen, ohne seine schändlichen Taten zu unterbinden. Ich schöpfte schon vor einiger Zeit den Verdacht, er würde sich auf unlautere Weise Geld beschaffen. Aber ich ließ es dabei bewenden, weil ich meinen beschaulichen Lebensstil nicht stören wollte.”
Bedrückt schüttelte er den Kopf.
“Bereits in seiner Kindheit hätte ich ihn strenger behandeln und meiner Frau verbieten müssen, ihn dermaßen zu verhätscheln. Und schließlich war Hopfen und Malz verloren; er konnte sich nicht mehr bessern. Da Lady Fanhope sich nur um sein Wohl sorgte, wollte ich meine anderen Kinder für die Vernachlässigung entschädigen und kümmerte mich umso intensiver um unsere Tochter und den jüngeren Sohn. Ich glaube, Giles würde sich viel besser als Charles dafür eignen, in meine Fußstapfen zu treten, wenn es an der Zeit ist. Was aber nichts an der Tatsache ändert, dass Charles mein Erbe ist. Wenn es auch zu spät ist, dem Jungen wenigstens ein bisschen Ehrgefühl beizubringen – ich möchte ihn zumindest zwingen, die Konsequenzen seiner Handlungsweise zu tragen. Diesen Entschluss werde ich in die Tat umsetzen, ganz egal, wie lange es dauern wird, ihn aufzuspüren.”
Da Annis niemals gezögert hatte, die Folgen ihrer eigenen Aktivitäten zu akzeptieren, beteuerte sie: “Glauben Sie mir, Sir, es hat mir keine Genugtuung bereitet, Ihre Familie ins Unglück zu stürzen und …”
“Bitte, mein liebes Kind”, unterbrach er sie und ergriff ihre Hände, “was Sie getan haben, nehme ich Ihnen wirklich nicht übel. Greythorpe vermutet, dass Ihr Gewissen Sie quält. Aber dafür besteht kein Grund. An diesem Skandal sind gewisse Mitglieder meiner Familie schuld – vor allem ich selbst.”
Annis’ Taktgefühl verbot ihr, ihm beizupflichten. Und da es weder ihm noch ihr nützen würde, noch länger über die unglückseligen Ereignisse zu reden, wechselte sie das Thema und fragte gespannt, wann der Viscount zurückkehren würde.
“Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, meine Liebe”, erwiderte Lord Fanhope zu ihrer Enttäuschung. “Ich gewann den Eindruck, da wäre er sich selber noch nicht sicher. Wie ich bereits erwähnt habe, war er so freundlich, mir für meine Heimreise seine Reisekutsche zu leihen. Am Morgen meines Aufbruchs wollte er London ebenfalls verlassen, in der Begleitung eines Freundes, dessen Landsitz in Nottinghamshire liegt. Dorthin brachen die beiden auf.” Als er Annis’ Verblüffung bemerkte, fügte er hinzu: “Was Greythorpe zu dieser Reise in den Norden bewogen hat, weiß ich nicht. Allerdings besitzt er ein kleines Landgut in Derbyshire.”
“Ja, das habe ich gehört. Trotzdem finde ich es seltsam, dass er dieses Anwesen gerade jetzt besucht, nur wenige Wochen vor der Geburtstagsfeier für seine Großmutter.”
“Die wird er wohl kaum vergessen – schon gar nicht, weil er ein grandioses Fest veranstalten möchte, viel aufwendiger, als es ursprünglich geplant war. Vielleicht möchte er den Antritt seines Erbes zelebrieren.” Der Baron lächelte strahlend. “Darauf freuen wir uns alle schon sehr.”
Wie sich bald herausstellte, teilte
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