Hochzeit in St. George (German Edition)
an die Tage in trostloser Einsamkeit an der Seite ihres ungeliebten, so viel älteren Mannes. Wenn Jeanette damals nicht gewesen wäre, mit ihrer feinen, ausgleichenden Art, wäre alles noch viel schlimmer gewesen. Keine Frage: Sie würde Jeanette helfen. Das Problem war nur, wie es ihr gelingen sollte, den Witwensitz an ihre Freundin zu verschenken, ohne daß er automatisch in Rogers Hände fiel, deren rechtmäßige Ehefrau Jeanette war. Sie würde ihre französischen Rechtsanwälte um Rat fragen. Roger. Wie lange sie schon nicht mehr an ihn gedacht hatte. Wo er wohl war, und wie es ihm ging? Ein lautes Klopfen war von der Haustür her zu vernehmen.
Catharine atmete tief durch und erhob sich aus ihrem Stuhl. Wie gut, daß sie an Roger denken konnte, ohne zu frösteln. Dieses Thema gehörte endgültig der Vergangenheit an.
Hätte Catharine wohl ebenso gedacht, wenn sie gewußt hätte, daß eben zur gleichen Stunde ein gutaussehender schwarzhaariger Gentleman Mitte dreißig in Frankreich das Schiff in Richtung Dover bestiege? Der Name, den er mit großen, kantigen Buchstabenin die Passagierliste eintrug: Roger Marquis de la Falaise.
Burley öffnete die Tür zum Speisezimmer. »Mr. Kennin, Madam.«
Der so Angekündigte drängte den Butler mit ungeduldiger Handbewegung zur Seite. »Aus dem Weg, Burley! Ich habe keine Zeit zu verlieren! Gut, daß Sie zu Hause sind, Mrs. Willowby.«
Catharine deutete Burley mit der Hand an, daß er sich zurückziehen konnte, und wandte sich dann ihrem anderen Diener zu: »Was ist passiert, Kermin? Sie sehen völlig erschöpft aus. Warum sind Sie nach London zurückgekehrt?«
»Ich bin die ganze Strecke in einem durchgeritten, Madam. Man hat Master Richard verhaftet.«
»Man hat was?« rief Catharine entsetzt.
»Vorgestern abend haben sie ihn abgeholt, Madam, auf meine Ehre. Man wirft ihm vor, er habe den Viscount umgebracht.«
»Den Viscount?« fragte Catharine verständnislos. »Richards Vater? Ist er tot?«
Kermin nickte. »Erschlagen worden. Hab' selbst die Blutspur gesehen, vom Kopf in den Kragen. Es war grauenhaft.«
Catharine ließ sich auf den nächstbesten Stuhl fallen. Mit großen Augen blickte sie auf Kermin, der sich vor Erschöpfung kaum auf den Beinen halten konnte. Es konnte einfach nicht wahr sein, was sie da soeben gehört hatte. »Und man sagt, daß mein Mann der Mörder ist?« vergewisserte sie sich fassungslos. »Der Mörder seines eigenen Vaters? War er es denn, Kermin? Sagen Sie mir die Wahrheit: Hat er es getan? Das kann doch nicht sein! Nein, das kann ich nicht glauben.«
»Beruhigen Sie sich, Madam. Er war es nicht. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
Catharine atmete auf. »Gott sei Dank«, stöhnte sie.
»Ja, aber jetzt haben sie ihn eingesperrt. Und wenn uns nicht bald etwas einfällt, werden sie ihn hängen. Hat keinen guten Ruf, unser Master Richard. Jeder weiß, daß er den Viscount nicht leiden konnte.«
»Um Himmels willen! Natürlich muß uns etwas einfallen! Los, Kermin, setz dich hin und erzähle mir alles, was du weißt.«
Dieser Aufforderung kam der Diener gerne nach. Es war nicht viel, was er zu erzählen wußte. Daß sein Herr mit dem Viscount zu Abend gegessen hatte. Die beiden mußten bald nach Beginn des Wiedersehens Streit gehabt haben, denn herbe Worte, in lautem Ton geäußert, drangen durch die Tür des Speisezimmers. Er war mit Mrs. Mellvin, der Haushälterin, die »den Laden ordentlich in Schuß hielt«, wie Kermin anerkennend bemerkte, an der Tür vorübergegangen. Sie hatten einige Wortfetzen aufgeschnappt. Worum sich das Gespräch gehandelt hatte, konnte er jedoch nicht angeben. Vater und Sohn hätten sich relativ früh zurückgezogen, da der Viscount gesundheitlich »nicht eben auf der Höhe« sei. Und Master Richard war von der langen Reise müde gewesen. Sie hatten gemeinsam dasEßzimmer verlassen, darauf schwor Richard Stein und Bein. Und sie mußten beim »gute Nacht Sagen« in keinem schlechten Einvernehmen gestanden haben, da sie sogar überlegten, am nächsten Tag zusammen fischen zu gehen. Wie der Viscount wieder ins Eßzimmer zurückgekommen war und wer ihn erschlagen hatte, wußte niemand. Tatsache war, daß Richard gegen elf Uhr nachts zu Bett gegangen war. Kermin selbst hatte ihm beim Entkleiden geholfen. Am nächsten Tag hatte Mr. Willowby den Toten entdeckt. Ja, Alfred Willowby war völlig überraschend vorbeigekommen, um seinem Onkel einen Besuch abzustatten. Mrs. Mellvin hatte den Friedensrichter
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