Hochzeit in St. George (German Edition)
heißt du?«
»Ich bin Catharine«, erklärte sie ihm. »Du bist wohl auf Besuch auf Wild Rose Manor, nicht wahr? Wo sind denn deine Mama und dein Papa? Oder bist du deiner Nanny davongelaufen?«
Sicher war er der Sohn eines der Traueigäste. Seltsam, daß es so still war. Wo sich die anderen Gäste wohl aufhielten?
»Mein Papa ist tot«, sagte der Junge. »Aber Mami ist nicht tot. Sie ist oben. Ich sollte auch oben sein. Aber ich will nicht immer oben sein.«
»Oben? Du meinst im Gästezimmer?«
»Im Kinderzimmer«, erklärte Hermes. »Immer wenn Besuch da ist, muß ich ins Kfoderzimmer. Ich will aber nicht. Mama sagt, man darf mich nicht sehen, damit ich einmal ein großer Mann werde. Ich will aber kein großer Mann werden. Ich will in den Garten und zu den Pferden. Hast du auch ein Pferd?«
»Ich habe sogar zwei«, sagte Catharine, die sich auf die Worte des Jungen keinen Reim machen konnte. »Sie stehen im Stall und sind sehr, sehr müde, weil sie meine Kutsche eine lange Strecke gezogen haben. Morgen kann ich sie dir zeigen, wenn du möchtest.«
»Fein!« rief Hermes begeistert. »Ich mag dich. Bleibst du lange hier?«
Die Tür wurde aufgerissen, und Mrs. Mellvin erschien. »Hier bist du, Fratz! Aber nun rasch nach oben mit dir.« Sie packte den Jungen am Arm und wollte den schreienden kleinen Kerl hinter sich aus dem Zimmer ziehen, wenn Catharine nicht eingegriffen hätte. »Einen Augenblick«, sagte sie in scharfem Ton. »Wer ist dieses Kind?«
»Er ist mein Neffe, Mylady«, sagte Mrs. Mellvin. »Ich wollte nicht, daß er Sie belästigt. Es wird auch nie wieder vorkommen, das verspreche ich Ihnen. Und wenn ich Hermes in sein Zimmer einsperren muß! Der Viscount, Ihr verehrter Herr Schwiegervater, Mylady, erlaubte,daß der Junge hier wohnt. Sie haben doch nichts dagegen, nicht wahr, Mylady?«
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Catharine. In Mrs. Mellvin steckte ein besseres Herz, als sie anfangs gedacht hatte. Es war nett von ihr, ihrem Neffen ein Zuhause zu bieten. »Und Hermes braucht nicht eingesperrt zu werden. Im Gegenteil, ich möchte, daß er sich frei bewegen darf und in den Garten gehen kann, sooft er möchte. Wir haben ausgemacht, daß ich ihm morgen meine Pferde zeige, nicht wahr, Hermes?«
»Au ja!« rief der Junge aus und trocknete rasch seine Tränen. »Ich darf doch, Mami, nicht wahr?«
»Er nennt mich Mami, weil seine Mutter…« Mrs. Mellvin unterbrach sich und blickte verlegen zu Boden.
»Ist schon gut, Mrs. Mellvin«, sagte Catharine beruhigend. »Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen. Bis morgen, Hermes. Schlaf gut.«
Am nächsten Morgen kleidete sich Catharine mit besonderer Sorgfalt an. Sie wollte auf Sir Streighton einen vornehmen und seriösen Eindruck machen. Beim Frühstück begrüßte sie Richards Cousin Alfred, den sie am Vorabend nicht angetroffen hatte. Er schien der einzige Gast im Haus zu sein.
»Richard hat allen Verwandten geschrieben, soviel ich weiß«, beantwortete er Catharines entsprechende Frage. »Und es sind auch schon eine Reihe von Beileidsschreiben eingetroffen, wie ich festgestellt habe. Mrs. Mellvin, eine überaus tüchtige Dame übrigens, hat die Post auf den Kamin in der Bibliothek gelegt. George, du weißt, mein Cousin, Richards jüngerer Bruder, hat sich noch nicht gemeldet. Allerdings liegt Rampstade auch eine Reise von fünf bis sechs Tagen von hier entfernt. Oben in York, mußt du wissen.«
»Hast du Hermes schon kennengelernt?« fragte Catharine unvermittelt.
Alfred war sichtlich verwirrt. »Hermes, den Götterboten?« erkundigte er sich.
Catharine mußte wider Willen lachen. »Ja, eben den«, sagte sie. »Er ist, schätze ich, vier Jahre alt und sehr lieb. Der Neffe von Mrs. Mellvin. Er wohnt hier im Hause.«
»Seit wann?« erkundigte sich Alfred. »Ich meine, ein Kind hier im Haus? Mir ist noch keines aufgefallen.«
»Könntest du dich heute ein bißchen um ihm kümmern, während ich fort bin? Er schien ziemlich einsam zu sein.«
»Mache ich gern«, erwiderte Alfred rasch. »Ich komme im allgemeinen gut mit Kindern zurecht.«
»Und jetzt bitte ich dich, mir die Daumen zu halten. Ich fahre zu Sir Streighton, den Friedensrichter. Ich hoffe, daß er Richard noch heute freiläßt«, antwortete Catharine und spürte, wie ihr bei diesen Worten vor Aufregung ein Schauer über den Rücken kroch. Wie würde das bevorstehende Gespräch wohl verlaufen?
»Ich wünsche dir, daß du Erfolg hast«, sagte Alfred in inbrünstigem Ton. »Armer
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