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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Verständnis zu bitten.
    Und wenn ich zu feige war, zu dem zu stehen, was ich getan hatte, dann konnte ich zumindest einen Schlußstrich darunterziehen und uns die Chance geben, unser Leben weiterzuleben. Ich redete mir selbst gut zu, und stand sogar auf, um mich nach einer Mülltonne umzusehen.
    Neben dem Schulgebäude entdeckte ich eine. Aber ich brachte es einfach nicht fertig, die Tüte hineinzuwerfen.
    Auf dem Heimweg kaufte ich in einem
    Schreibwarengeschäft ein paar Aktenmappen. Sobald ich den Laden verlassen hatte, packte ich sie aus, schrieb auf einen: »Drakloop. Conf: Apr. 1995, Notizen.« Das klang langweilig genug, um kein Interesse zu wecken. Ganz vorsichtig, um meine Kleider nicht schmutzig zu machen, zog ich Taras traurige kleine Zeitungsausschnitte aus der Plastiktüte, legte sie in die beschriftete Mappe und warf die Tüte in einen Abfallbehälter. Dann beschriftete ich in einem Anfall von Paranoia auch die anderen drei Aktenmappen mit sinnlosen Worten. Als ich zu Hause eintraf, trug ich die Mappen lässig in der Hand. Es sah wirklich aus, als hätte ich mir was zum Arbeiten mit nach Hause genommen.

    »Du wirkst verspannt«, sagte Adam. Er war hinter mich getreten und berührte meine Schultern. »Dieser Muskel fühlt sich total hart an.« Er begann mich auf eine Art zu massieren, die mich vor Wohlbehagen aufstöhnen ließ.
    »Was macht dir zu schaffen, daß du so angespannt bist?«
    Was machte mir zu schaffen? Ein Gedanke schoß mir durch den Kopf. »Ich weiß nicht, Adam. Vielleicht diese Anrufe und Nachrichten. Das hat mich ziemlich fertiggemacht.« Ich drehte mich um und umarmte ihn.

    »Aber eigentlich geht es mir schon wieder besser. Die Anrufe haben aufgehört.«
    »Ja, nicht wahr?« Adam runzelte die Stirn.
    »Ja. Seit einer Woche ist Ruhe.«
    »Du hast recht. Hat dir das wirklich so zu schaffen gemacht?«
    »Ich hatte das Gefühl, es wird immer schlimmer.
    Trotzdem frage ich mich, warum die Anrufe einfach so aufgehört haben.«
    »Das kommt davon, wenn man so berühmt ist, daß die Zeitungen über einen berichten.«
    Ich küßte ihn.
    »Adam, ich möchte dir einen Vorschlag machen.«
    »Und der wäre?«
    »Ein Jahr Langeweile. Natürlich nicht ununterbrochen.
    Aber zumindest unterhalb von achttausend Metern Höhe.
    Ich möchte, daß alles, was mit mir zu tun hat, völlig normal und banal abläuft.«
    Erschrocken schrie ich auf. Adam hatte mich plötzlich gepackt und über seine Schulter geworfen. Er trug mich durch die Wohnung ins Schlafzimmer und warf mich aufs Bett. Grinsend blickte er auf mich herab.
    »Ich werde sehen, was sich machen läßt«, sagte er. »Und nun zu dir«, wandte er sich an Sherpa, nahm sie hoch und küßte sie auf die Nase. »Was sich hier gleich abspielen wird, ist nicht für die Augen einer so jugendlichen Katze bestimmt.« Er setzte sie sanft vor dem Schlafzimmer ab und schloß die Tür.
    »Und was ist mit mir?« fragte ich. »Soll ich auch gehen?«
    Er schüttelte den Kopf.

    Am nächsten Morgen verließen wir die Wohnung zur selben Zeit und gingen gemeinsam zur U-Bahn. Adam hatte irgendeinen Termin außerhalb Londons. Er würde mit dem Zug fahren. Mir stand ein hektischer Arbeitstag bevor, der schon jetzt meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Als ich abends das Drakon-Gebäude verließ und blinzelnd ins Freie trat, hatte ich das Gefühl, als würde ein ganzer Bienenschwarm in meinem Kopf herumschwirren. Unterwegs kaufte ich eine Flasche Wein und ein Fertiggericht, das nur noch aufzuwärmen war.
    Als ich nach Hause kam, war die Haustür nicht abgeschlossen. Da im ersten Stock eine Musiklehrerin wohnte, die an den Tagen, an denen sie Schüler erwartete, die Haustür offenließ, fand ich dies nicht ungewöhnlich.
    Als ich jedoch unsere Wohnungstür erreichte, merkte ich sofort, daß etwas nicht stimmte, und ließ meine Einkaufstüte fallen. Die schäbige Tür war aufgebrochen worden. An der Außenseite klebte etwas. Der vertraute braune Umschlag. Mein Mund war trocken, und meine Finger zitterten, als ich ihn von der Tür löste und aufriß. In groben schwarzen Großbuchstaben stand da: EINEN HARTEN TAG GEHABT, ADAM? NIMM EIN
    BAD

    Vorsichtig schob ich die Tür ein Stück auf und lauschte.
    Es war nichts zu hören.
    »Adam?« fragte ich schwach, obwohl ich wußte, daß er nicht da war. Es kam keine Antwort. Ich überlegte, ob ich einfach wieder gehen, die Polizei anrufen und unten auf Adam warten sollte. Alles, bloß nicht hineingehen. Ich wartete und

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