Höhenangst
lauschte noch eine Weile, aber es war offenbar niemand in der Wohnung. Irgendein seltsamer, mechanischer Ordnungssinn ließ mich erst die Einkaufstüte vom Boden aufheben, bevor ich die Wohnung betrat. Ich legte die Tüte auf dem Küchentisch ab. Einen Moment lang versuchte ich mir selbst einzureden, daß ich nicht wußte, was jetzt zu tun war. Das Bad. Ich mußte einen Blick ins Bad werfen. Diesmal war die betreffende Person noch einen Schritt weiter gegangen und in unsere Wohnung eingebrochen, um uns einen Streich zu spielen oder uns etwas zu hinterlassen, nur, um uns zu zeigen, daß sie jederzeit in die Wohnung konnte, wenn sie wollte. Daß sie uns zwingen konnte, uns Dinge anzusehen, von denen sie wollte, daß wir sie uns ansahen.
Ich blickte mich um. Der Einbrecher schien nichts angefaßt zu haben. Mir blieb also nichts anderes übrig, als ins Bad zu gehen. Benommen blieb ich vor der Tür stehen.
Konnte es sich um eine Falle handeln? Ich schob die Tür einen kleinen Spalt weit auf. Nichts passierte. Ich stieß sie ganz auf und wich zurück. Noch immer keine Reaktion.
Also ging ich hinein. Wahrscheinlich machte ich mir unnötig Sorgen. Vielleicht war ja gar nichts. Dann warf ich einen Blick in die Wanne. Zuerst dachte ich, jemand hätte eine Fellmütze genommen, zum Spaß mit roter Farbe getränkt und in die Badewanne geworfen. Aber als ich mich vorbeugte, sah ich, daß es Sherpa war, unsere Katze.
Ich erkannte sie kaum wieder, weil ihr Körper nicht nur aufgeschlitzt war, sondern jemand darüber hinaus versucht hatte, ihr Innerstes nach außen zu kehren. Das arme kleine Ding war nur noch ein schrecklich anzusehender Klumpen Blut. Trotzdem beugte ich mich hinunter und berührte zum Abschied Sherpas blutige Stirn.
Als Adam mich fand, lag ich völlig angezogen im Bett und hatte den Kopf unter dem Kissen vergraben. Ich wußte nicht, wie viele Stunden inzwischen vergangen waren, ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Ich sah sein verwundertes Gesicht.
»Im Bad«, sagte ich. »Die Nachricht liegt auf dem Boden.«
Ich hörte ihn hinübergehen und wieder zurückkommen.
Sein Gesicht war ausdruckslos, aber als er sich neben mich legte und mich in den Arm nahm, sah ich, daß er Tränen in den Augen hatte.
»Es tut mir so leid, Alice, mein Liebling.«
»Ja«, schluchzte ich. »Mir auch.«
»Nein, das meine ich nicht, ich …« Seine Stimme versagte ihm den Dienst, und er drückte mich noch fester an sich. »Ich hätte auf dich hören sollen, ich … ich rufe jetzt die Polizei an. Was muß ich wählen? Einfach nur die 999?«
Ich zuckte bloß mit den Achseln, weil ich nicht in der Lage war zu sprechen. Noch immer liefen mir die Tränen übers Gesicht. Wie aus weiter Ferne hörte ich, daß Adam ziemlich lang telefonierte und mit sehr viel Nachdruck sprach. Als anderthalb Stunden später zwei Polizeibeamte bei uns eintrafen, hatte ich mich wieder gefangen. Die beiden waren so groß und kräftig, daß unsere Wohnung plötzlich sehr klein wirkte. Adam führte sie ins Bad. Einer fluchte. Als sie wieder herauskamen, schüttelten beide den Kopf.
»Das ist ja eine schöne Bescherung«, meinte einer von ihnen.
»Solche Schweine!«
»Glauben Sie, es waren mehrere?«
»Kinder«, sagte der andere. »Durchgeknallte Jugendliche.«
Dann war es also doch nicht Tara gewesen. Nun begriff ich gar nichts mehr. Ich war mir meiner Sache so sicher gewesen. Ich sah Adam an.
»Hier«, sagte er und reichte den Beamten die letzte Nachricht.
»Seit ein paar Wochen bekommen wir immer wieder solche Mitteilungen. Und anonyme Anrufe.«
Die Beamten betrachteten den Umschlag ohne großes Interesse.
»Werden Sie das Bad auf Fingerabdrücke untersuchen?«
fragte ich.
Die beiden wechselten einen Blick.
»Wir werden Ihre Aussage aufnehmen«, erklärte einer der beiden und zog ein kleines Notizbuch aus seiner unförmigen Jacke. Ich sagte ihm, daß ich unsere Katze in der Badewanne gefunden hätte. Daß unsere Wohnungstür aufgebrochen worden sei. Daß wir anonyme Anrufe und Briefe bekommen, sie aber nicht besonders ernst genommen hätten. Deswegen seien wir auch nicht eher zur Polizei gegangen. Außerdem habe es seit ein paar Tagen so ausgesehen, als hätte das Ganze aufgehört. Der Beamte schrieb mühsam alles auf. Nach einer Weile gab sein Stift den Geist auf, und ich reichte ihm einen neuen aus meiner Tasche.
»Das waren bestimmt Kinder«, erklärte er, als ich fertig war.
Als die Polizisten die Wohnung verließen, warfen sie einen
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