Höhenangst
kritischen Blick auf unsere Wohnungstür.
»Sie brauchen was Stabileres«, meinte der eine nachdenklich.
»Diese Tür hier könnte sogar mein Dreijähriger eintreten.« Und weg waren sie.
Zwei Tage später bekam Adam ein Schreiben von der Polizei. Die Anrede »Sehr geehrter Mr. Tallis« war mit der Hand geschrieben, aber der Text selbst war eine schlechte Fotokopie. Er lautete: »Sie haben ein Verbrechen gemeldet. Bisher ist keine Verhaftung vorgenommen worden, aber wir werden den Fall weiterverfolgen. Sollten Sie über weitere Informationen verfügen, setzen Sie sich bitte mit dem diensthabenden Beamten des Polizeireviers Wingate Road in Verbindung.
Sollten Sie als Verbrechensopfer Betreuung benötigen, wenden Sie sich bitte ebenfalls an den diensthabenden Beamten des Polizeireviers Wingate Road. Mit freundlichen Grüßen.« Die Unterschrift war nur ein Schnörkel. Ein fotokopierter Schnörkel.
28. KAPITEL
Das Lügen fällt einem mit der Zeit immer leichter. Zum Teil ist es nur eine Frage der Übung. Ich hatte mich zu einer richtigen Schauspielerin entwickelt und fühlte mich mittlerweile in all meinen Rollen sicher, egal, ob ich gerade Sylvie Bushnell, die Journalistin, spielte oder auf besorgte Freundin machte. Außerdem hatte ich herausgefunden, daß die Leute normalerweise davon ausgehen, daß das, was man ihnen sagt, der Wahrheit entspricht, vor allem, wenn man nicht gerade versucht, ihnen eine Versicherung oder einen Staubsauger zu verkaufen.
So kam es, daß ich drei Tage, nachdem ich die Mülltonne einer Ermordeten durchwühlt hatte, in einem Haus in einem mittelenglischen Dorf saß und eine Tasse Tee trank, die mir Taras Mutter gemacht hatte. Es war so leicht gewesen, bei ihren Eltern anzurufen und mich als Freundin Taras auszugeben. Ich hatte behauptet, ich sei zufällig in der Gegend und würde ihnen gern einen Besuch abstatten. Taras Mutter hatte fast überschwenglich reagiert.
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mrs. Blanchard.«
»Jean«, sagte die Frau.
Jean Blanchard war Ende Fünfzig, etwa im Alter meiner Mutter. Sie trug Hose und Strickjacke. Ihr halblanges Haar war von grauen Fäden durchzogen, und ihr Gesicht wies tiefe Falten auf, die aussahen, als wären sie in hartes Holz gemeißelt worden. Ich fragte mich, wie sie wohl ihre Nächte verbrachte. Sie bot mir auf einem Teller Gebäck an. Ich nahm einen kleinen, dünnen Keks und knabberte ihn auf einer Seite an, wobei ich den Gedanken, daß mir dieser Keks gar nicht zustand, in einen dunklen Winkel meines Gehirns zu verbannen versuchte.
»Woher kannten Sie Tara?«
»Ich kannte sie nicht besonders gut«, antwortete ich.
»Ich habe sie in London durch eine Gruppe gemeinsamer Freunde kennengelernt.«
Jean Blanchard nickte.
»Wir haben uns Sorgen um sie gemacht, als sie nach London gegangen ist. Sie war die erste in der Familie, die aus der Gegend hier weggezogen ist. Ich weiß natürlich, daß sie erwachsen war und auf sich selbst aufpassen konnte. Was für einen Eindruck hat sie auf Sie gemacht?«
»London ist eine große Stadt.«
»Genauso habe ich es auch empfunden«, sagte Mrs. Blanchard. »Ich fand es dort immer unerträglich.
Christopher und ich sind hingefahren, um sie zu besuchen, aber ehrlich gesagt haben wir uns in der Stadt überhaupt nicht wohl gefühlt. Der ganze Lärm, der Verkehr und die vielen Menschen … Die Wohnung, die sie gemietet hatte, gefiel uns auch nicht besonders. Wir hatten eigentlich vor, ihr zu helfen, etwas anderes zu finden, aber dann …«
Ihre Stimme versagte.
»Wie dachte Adele darüber?« fragte ich.
Mrs. Blanchard sah mich verwirrt an.
»Wie bitte? Ich verstehe nicht.«
Ich hatte etwas Falsches gesagt. Ich empfand fast so etwas wie ein Schwindelgefühl, als wäre ich bis zum Rand eines Abgrunds gestolpert. Verzweifelt überlegte ich, was ich falsch verstanden haben könnte. Hatte ich doch die falsche Familie erwischt? Oder konnte es sein, daß Adele und Tara ein und dieselbe Person waren? Nein, ich hatte Adeles Namen erwähnt, als ich mich mit der Frau in Taras Wohnung unterhalten hatte. Am besten, ich sagte jetzt irgend etwas Unverbindliches.
»Tara hat viel über Adele gesprochen.«
Mrs. Blanchard nickte. Sie war noch immer nicht in der Lage zu reden. Ich wartete, weil ich es nicht wagte, meinem Satz noch etwas hinzuzufügen. Sie zog ein Taschentuch heraus, wischte sich damit über die Augen und putzte sich die Nase.
»Das war natürlich auch der Grund, warum sie nach London gegangen
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