Höhenangst
wird schon was einfallen, was ich Mike erzählen kann«, sagte sie schließlich.
»Vergiß nicht, mir zu sagen, was du ihm erzählt hast, bevor ich ihn das nächstemal sehe.«
Von der Oxford Street waren es zu Fuß nur ein paar Minuten bis zu Adams Wohnung. Als ich dann vor seinem Haus stand, wurde mir bewußt, daß ich im Grunde keine Ahnung hatte, was ich ihm eigentlich sagen wollte. Ich verharrte eine ganze Weile ratlos vor der Tür, ohne daß irgend etwas passierte. Da die Tür nicht abgeschlossen war, ging ich schließlich die Treppe hinauf und klopfte an seine Wohnungstür. Sie schwang auf. Ich trat einen Schritt vor und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, hielt dann aber überrascht inne. In der Tür stand eine beunruhigend attraktive Frau. Ihr dunkles Haar war ordentlich hochgesteckt. Über ihrer Jeans trug sie ein kariertes Hemd, unter dem ein schwarzes T-Shirt hervorlugte. Sie wirkte müde und gedankenverloren.
»Ja?« fragte sie.
Mein Magen verkrampfte sich, und ich spürte, wie mein Gesicht vor Verlegenheit heiß und rot wurde. Ich hatte das ungute Gefühl, daß ich mein ganzes altes Leben hingeschmissen hatte, bloß um mich so richtig zum Narren zu machen.
»Ist Adam da?« fragte ich benommen.
»Nein«, antwortete sie in forschem Ton. »Er ist weitergezogen.«
Sie war Amerikanerin.
»Wissen Sie, wohin?«
»Lieber Himmel, fragen Sie mich was Leichteres.
Kommen Sie erst mal rein.« Ich folgte ihr in die Wohnung, weil ich nicht wußte, was ich sonst hätte tun sollen. Gleich neben der Tür lagen ein sehr großer, ziemlich mitgenommen aussehender Rucksack und ein offener Koffer. Überall waren Klamotten verstreut.
»Sie müssen entschuldigen«, sagte sie und deutete auf das Chaos. »Ich bin heute morgen erst aus Lima zurückgekommen. Ich bin völlig am Ende. Möchten Sie einen Kaffee? Ich habe gerade welchen gemacht.« Sie streckte mir die Hand hin. »Deborah«, sagte sie.
»Alice.«
Mein Blick wanderte zum Bett hinüber. Deborah forderte mich auf, Platz zu nehmen. Während ich mich auf einen altvertrauten Stuhl sinken ließ, goß sie Kaffee in zwei altvertraute Tassen. Sie bot mir eine Zigarette an, aber ich schüttelte den Kopf. Sie zündete sich eine an.
»Sind Sie eine Freundin von Adam?« fragte ich zögernd.
Sie blies eine dicke Rauchwolke in die Luft und zuckte mit den Achseln.
»Ich bin ein paarmal mit ihm geklettert. Wir waren in denselben Teams. Ja, ich bin eine Freundin von ihm.« Sie nahm einen weiteren tiefen Zug und schnitt eine Grimasse.
»Meine Güte, habe ich einen Jetlag. Und diese Luft! Ich habe mich während der letzten anderthalb Monate nie unter fünfzehnhundert Metern aufgehalten.
Und Sie? Sind Sie eine Freundin von Adam?« fuhr Deborah fort.
»Erst seit kurzem«, antwortete ich. »Wir kennen uns noch nicht lange. Aber ja, ich bin seine Freundin.«
»Ja«, sagte sie mit einem wissenden Lächeln, das mir sehr peinlich war, aber ich erwiderte ihren Blick, bis ihr Lächeln etwas freundlicher und weniger spöttisch wurde.
»Waren Sie mit ihm auf diesem Chunga-Berg? Ich kann mir den Namen nicht merken.« Eigentlich interessierte mich etwas ganz anderes: Haben Sie eine Affäre mit ihm gehabt? Sind Sie auch seine Geliebte?
»Chungawat. Sie meinen, letztes Jahr? Lieber Himmel, nein! So etwas mache ich nicht.«
»Warum nicht?«
Sie lachte.
»Wenn Gott gewollt hätte, daß wir weiter hinaufsteigen als achttausend Meter, dann hätte er uns einen anderen Körper gegeben.«
»Ich weiß, daß Adam letztes Jahr an dieser schrecklichen Expedition beteiligt war.« Ich versuchte, mit ruhiger Stimme zu sprechen, als hätte ich bloß an ihre Tür geklopft, um bei einer Tasse Kaffee freundlich mit ihr zu plaudern. Wo ist er? schrie eine Stimme in mir. Ich muß ihn sofort sehen – bevor es zu spät ist. Vielleicht ist es jetzt schon zu spät.
» Beteiligt? Wissen Sie denn nicht, was auf dieser Expedition passiert ist?«
»Ich weiß, daß mehrere Menschen ums Leben gekommen sind.«
Deborah zündete sich eine weitere Zigarette an.
»Fünf, um genau zu sein. Die für die Expedition zuständige Ärztin, die zugleich Adams ähm …« Sie sah mich an. »Sie war eine enge Freundin von Adam. Und vier Kunden.«
»Wie schrecklich.«
»Das habe ich nicht gemeint.« Sie zog an ihrer Zigarette und inhalierte tief. »Wollen Sie die Geschichte hören?«
Ich nickte. Wo ist er? Sie lehnte sich zurück, als hätte sie alle Zeit der Welt.
»Als der Sturm losbrach, mußte der
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