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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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den Gipfeln der Welt in der Hand. Am Vorabend, als er in Edinburgh war, hatte ich das Buch unter mein Kopfkissen geschoben.
    »Das?« Ich bemühte mich, möglichst beiläufig zu klingen.
    »Jemand aus der Arbeit hat es mir geliehen. Angeblich soll es sehr gut sein.«

    Jake blätterte das Buch durch. Ich hielt den Atem an. Da.
    Die Fotos. Er betrachtete ein Foto von Adam.
    »Ich hätte nicht gedacht, daß dich so etwas interessiert.«
    »Tut es wahrscheinlich auch nicht. Ich glaube kaum, daß ich es lesen werde.«
    »Wer auf einen solchen Berg klettert, muß verrückt sein«, sagte Jake. »Erinnerst du dich an die Leute, die letztes Jahr im Himalaja gestorben sind?«
    »Mmm.«
    »Bloß um auf einem Berggipfel zu stehen und hinterher wieder runterzugehen.«
    Ich gab ihm keine Antwort.

    Am nächsten Morgen hatte es geschneit, wenn auch nicht genug, um rodeln zu gehen. Wir drehten die Heizung auf, lasen die Sonntagszeitung und tranken kannenweise Kaffee. Ich lernte, wie man auf französisch nach einem Doppelzimmer fragte und » janvier est le premier mois de l’année «sagte, oder » fevrier est le deuxième mois « .
    Anschließend ackerte ich mich durch ein paar technische Zeitschriften, die sich schon seit längerem bei mir stapelten, und Jake las weiter in dem Kletterbuch. Er hatte schon die Hälfte geschafft.
    »Du solltest das wirklich lesen.«
    »Ich geh’ mal kurz runter und besorg’ uns was zum Mittagessen. Pasta?«
    »Wir haben doch erst gestern abend Pasta gegessen.
    Lieber ein richtig fettiges Pfannengericht. Ich koche, und du spülst ab.«
    »Aber du kochst doch sonst nie«, protestierte ich.
    »Ich bin gerade dabei, mein Leben zu ändern.«

    Nach dem Essen schauten Clive und Gail bei uns vorbei.
    Sie hatten den Vormittag offenbar im Bett verbracht.
    Beide hatten so ein postkoitales Strahlen an sich, und hin und wieder lächelten sie sich verschwörerisch an. Sie fragten uns, ob wir Lust hätten, mit ihnen zum Kegeln zu gehen. Vielleicht würden Pauline und Tom ja ebenfalls mitkommen.
    Also verbrachte ich den Nachmittag damit, eine schwere schwarze Kugel über die Kegelbahn zu rollen und mein Ziel jedesmal zu verfehlen. Wir mußten alle viel kichern: Clive und Gail, weil sie wußten, daß sie hinterher wieder ins Bett gehen würden, Pauline, weil sie vorhatte, ein Baby zu bekommen, und noch immer nicht fassen konnte, wie gut es ihr wieder ging, und Tom und Jake, weil sie nette Männer sind. Ich kicherte, weil alle es von mir erwarteten. Meine Brust tat mir weh. Meine Drüsen schmerzten. Vom Lärm und dem grellen Licht in der Bowlinghalle schwirrte mir bald der Kopf. Ich kicherte, bis mir Tränen in die Augen traten.

    »Alice«, sagte Jake im selben Moment, als ich »Jake«
    sagte.
    »Entschuldige, du zuerst«, erwiderte ich.
    »Nein, du zuerst.«
    Wir saßen eine Handbreit voneinander entfernt auf dem Sofa. Jeder hatte eine Tasse Tee in der Hand. Es war bereits dunkel, und wir hatten die Vorhänge zugezogen.
    Alles war still. Draußen schneite es, und der Schnee erstickte jedes Geräusch. Jake trug einen alten graumelierten Pulli, eine ausgewaschene Jeans und keine Schuhe. Sein Haar war zerzaust. Er sah mich aufmerksam an. Ich hatte ihn so gern. Ich holte tief Luft.

    »Ich kann so nicht weitermachen, Jake.«
    Noch verzog er keine Miene. Ich zwang mich, weiter in seine freundlichen braunen Augen zu sehen.
    »Was?«
    Ich nahm seine rechte Hand. Er ließ es mit sich geschehen. »Ich muß dich verlassen.«
    Wie brachte ich es nur fertig, das zu sagen? Es war, als würde ich mit jedem Wort einen Ziegelstein nach ihm schleudern. Jake sah mich an, als hätte ich ihm eine heftige Ohrfeige verpaßt. Am liebsten hätte ich alles zurückgenommen und wäre dorthin zurückgekehrt, wo wir noch vor einer Minute waren, als wir friedlich mit unserem Tee auf dem Sofa saßen. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, warum ich ihm das überhaupt antat.
    Er sagte kein Wort.
    »Ich habe jemand anderen kennengelernt. Es ist alles so
    …«
    »Wie meinst du das?« Er starrte mich wie durch einen dicken Nebel an. »Du mußt mich verlassen? Soll das heißen, du willst nicht mehr mit mir zusammensein?«
    »Ja.«
    Dieses Wort kostete mich so große Anstrengung, daß ich nichts weiter herausbrachte. Ich starrte ihn wie betäubt an.
    Noch immer hielt ich seine Hand, die schlaff in meiner lag. Ich wußte nicht, wie ich es anstellen sollte, sie loszulassen.
    »Wen?« Seine Stimme klang, als würde sie ihm gleich den Dienst

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