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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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ausspannen.«
    Ich wollte bis Freitag noch ein paar Dinge erledigen.
    Unter anderem etwas, das ich schon viel zu lange aufgeschoben hatte.

    Jake war zu Hause, als ich am Dienstag morgen mit einem gemieteten Lieferwagen vorfuhr, um meine restlichen Sachen zu holen. Eigentlich brauchte ich sie gar nicht, aber ich wollte sie auch nicht in unserer alten Wohnung lassen, als würde ich eines Tages in dieses Leben zurückkehren, um wieder in meine alten Kleider zu schlüpfen.
    Er machte mir eine Tasse Kaffee, blieb aber in der Küche und beugte sich demonstrativ über einen Aktenordner. Ich war mir sicher, daß er kaum wahrnahm, auf was er da so angestrengt hinunterstarrte. Er hatte sich an diesem Morgen rasiert und ein blaues Hemd angezogen, das ich ihm mal gekauft hatte. Ich wandte den Blick ab, weil ich sein müdes, kluges, vertrautes Gesicht nicht sehen wollte. Wie hatte ich nur auf die Idee kommen können, daß er für die Anrufe oder die anonyme Nachricht verantwortlich war? Alle meine düsteren Gedanken waren wie weggeblasen, und ich fühlte mich nur noch erschöpft und ein bißchen traurig.
    Ich gab mich so geschäftsmäßig wie möglich. Ich packte Kleider in Plastiktüten, wickelte Porzellan in Zeitungspapier und stellte es in die Schachteln, die ich mitgebracht hatte, zog Bücher aus den Regalen und schloß die Lücken, die sie hinterließen. Dann kam der Stuhl an die Reihe, auf dem ich schon als Studentin gesessen hatte.
    Als letztes lud ich meinen alten Schlafsack und ein paar CDs in den Lieferwagen.
    »Ist es dir recht, wenn ich meine Pflanzen dalasse?«
    »Wenn es dir so lieber ist.«
    »Ja.«
    »Und falls ich irgend etwas übersehen habe …«
    »Ich weiß, wo du wohnst«, sagte er.
    Einen Moment lang schwiegen wir beide. Ich trank den lauwarmen Rest meines Kaffees und sagte dann: »Jake, es tut mir sehr leid. Etwas anderes kann ich dir nicht sagen.
    Nur, daß es mir leid tut.«

    Er sah mich ruhig an. Dann lächelte er. Es war ein klägliches Lächeln.
    »Ich komm’ schon klar, Alice. Es wird noch eine Weile dauern, bis es mir wieder gutgeht, aber irgendwann wird es soweit sein. Und du, kommst du auch klar?«
    »Das weiß ich noch nicht«, sagte ich und trat einen Schritt zurück. »Aber egal, wie es ausgeht, ich kann einfach nicht anders.«
    Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, zu meinen Eltern zu fahren und alles, was ich nicht brauchte, bei ihnen zu lassen, aber genauso, wie ich nicht wollte, daß meine Sachen bei Jake blieben, wollte ich auch nicht, daß sie irgendwo anders auf mich warteten. Ich wollte ganz von vorn anfangen. Ich hatte das schwindelerregende Gefühl, meine Vergangenheit zu vernichten. Am ersten Oxfam-Laden, den ich sah, hielt ich an und drückte der überraschten Verkäuferin alle meine Sachen in die Hand: Bücher, Klamotten, Porzellan, CDs, sogar meinen Stuhl.

    Außerdem wollte ich mich mit Clive treffen. Er hatte mich in der Arbeit angerufen und darauf bestanden, mich vor der Hochzeit unbedingt noch einmal zu sehen. Wir verabredeten uns am Mittwoch in einem dunklen kleinen Lokal in Clerkenwell zum Mittagessen. Zur Begrüßung küßten wir uns verlegen auf die Wangen, als würden wir uns kaum kennen, ließen uns dann an einem kleinen Tisch nieder und bestellten Artischockensuppe mit dunklem Brot und zwei Gläser Rotwein.
    »Wie geht es Gail?« fragte ich.
    »Gut, nehme ich an. Wir sehen uns in letzter Zeit nicht mehr so oft.«
    »Willst du damit sagen, daß es vorbei ist?«

    Er grinste mich schuldbewußt an. Das war der alte Clive, den ich so gut kannte und der mir mit seiner Art immer ein bißchen Unbehagen bereitet hatte.
    »Ja, wahrscheinlich. Mein Gott, du weißt ja, was für ein hoffnungsloser Fall ich bin, wenn es um Beziehungen geht, Alice. Ich verliebe mich, und sobald es ernst wird, gerate ich in Panik.«
    »Die arme Gail.«
    »Ich bin nicht gekommen, um mit dir über Gail zu reden.«
    Mit verdrossener Miene rührte er in der dicken, grünlichen Suppe herum.
    »Du wolltest mit mir über Adam reden, stimmt’s?«
    »Ja.« Er trank ein Schluck Wein, rührte noch einmal in seiner Suppe herum und fuhr dann fort. »Jetzt, wo ich dir gegenübersitze, weiß ich nicht so recht, wie ich es dir sagen soll. Versteh mich nicht falsch, es geht mir dabei nicht um Jake. Es ist … na ja, du weißt, ich habe Adam kennengelernt, und mir ist natürlich klar, daß neben ihm jeder andere Mann ziemlich blaß wirkt. Aber bist du sicher, daß du weißt, was du da tust, Alice?«
    »Nein, aber

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