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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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das spielt keine Rolle.«
    »Was spielt keine Rolle?«
    »Nichts spielt eine Rolle.« Mir wurde bewußt, daß ich zum erstenmal, seit ich Adam kannte, das Bedürfnis hatte, über meine Gefühle zu sprechen. »Weißt du, Clive, ich habe mich einfach Hals über Kopf in ihn verliebt. Bist du jemals so begehrt worden, daß …«
    »Nein.«
    »Es war wie ein Erdbeben.«
    »Früher hast du dich immer über mich lustig gemacht, wenn ich so was gesagt habe. Du hast Worte wie

    ›Vertrauen‹ und ›Verantwortungsgefühl‹ benutzt. Du hast immer behauptet« – dabei deutete er mit seinem Löffel auf mich –, »daß nur Männer Dinge sagen wie Es ist einfach passiert oder Es war wie ein Erdbeben. «
    »Was soll ich jetzt deiner Meinung nach antworten?«
    Clive betrachtete mich mit einem kühlen, analysierenden Blick.
    »Wie habt ihr euch kennengelernt?« fragte er.
    »Wir sind uns auf der Straße über den Weg gelaufen.«
    »Und das war’s?«
    »Ja.«
    »Ihr habt euch gesehen und seid einfach miteinander ins Bett gesprungen?«
    »Ja.«
    »Das ist doch nur Sex, Alice. Du kannst nicht für ein bißchen Sex dein ganzes Leben wegwerfen.«
    »Kümmere dich um deine eigenen Probleme, Clive.«
    Das schien er als Antwort zu akzeptieren. Also redete ich weiter:
    »Adam ist einfach die Welt für mich. Ich würde alles für ihn tun. Es ist, als würde ich unter einem Zauber stehen.«
    »Und so was nennt sich Wissenschaftlerin.«
    »Ich bin Wissenschaftlerin.«
    »Warum siehst du dann aus, als würdest du gleich losheulen?«
    Ich lächelte.
    »Ich bin glücklich.«
    »Du bist nicht glücklich«, widersprach er. »Du bist völlig aus dem Gleichgewicht.«

    Ich hatte auch eine Verabredung mit Lily, obwohl ich nicht wußte, warum. Im Büro war ein nur mit »Alice«
    adressierter Brief abgegeben worden.
    »Ich muß mit Ihnen über den Mann reden, den Sie mir gestohlen haben«, stand da. Spätestens nach diesem Satz hätte ich den Brief eigentlich wegwerfen müssen. »Es ist dringend und muß unser Geheimnis bleiben. Erzählen Sie ihm nichts davon.«
    Sie hatte eine Telefonnummer angegeben.
    Ich dachte an die Nachricht, die unter unserer Tür durchgeschoben worden war. Das Papier war anders, und Lilys Schrift war klein und ordentlich, wie die eines Schulmädchens. Eine völlig andere Schrift, aber was hieß das schon? Jeder Mensch konnte seine Schrift verstellen.
    Ich wollte, daß es Lily war und nicht Jake, das wurde mir jetzt klar. Natürlich hätte ich Adam den Brief sofort zeigen sollen, aber ich tat es nicht. Ich redete mir ein, daß er auch so schon genug um die Ohren hatte. Klaus’ Buch würde demnächst erscheinen. Adam war bereits von zwei Journalisten angerufen worden, die mit ihm darüber sprechen wollten, »wie es ist, ein Held zu sein«.
    Außerdem hatten sie ihm Fragen über Greg gestellt. Ob Adam nicht auch der Meinung sei, daß Greg moralisch gesehen für den Tod der Amateurkletterer verantwortlich sei, die er auf den Berg geführt und dort ihrem Schicksal überlassen habe. Adam hatte sich voller Verachtung über das Wort »Held« geäußert und sich schlichtweg geweigert, Gregs Verhalten zu kommentieren. Aber ich hörte ihn und Klaus oft darüber diskutieren. Klaus fing immer wieder von dem Seil an, daß sich gelöst hatte. Dabei betonte er jedesmal, daß er über niemanden urteilen wolle, aber daß er sich wirklich nicht erklären könne, wie Greg so nachlässig habe sein können. Adam wiederholte immer wieder, daß in einer Höhe von über achttausend Metern niemand für sein Handeln verantwortlich gemacht werden könne.
    »Dort oben sind wir alle auf die Gnade Gottes angewiesen«, sagte er.
    »Nur du nicht«, warf ich ein, woraufhin mich die beiden Männer mit einem milden, leicht herablassenden Lächeln bedachten.
    »Ich hatte bloß Glück«, antwortete er nüchtern. »Und Greg hatte Pech.«
    Ich glaubte ihm nicht. Noch immer war ich der Meinung, daß dort oben auf dem Berg etwas passiert war, das er mir verschwieg. Nachts beobachtete ich manchmal, wie er schlief. Meist hatte er seinen Arm auf meinem Oberschenkel liegen und den anderen über dem Kopf. Er schlief mit leicht geöffnetem Mund, so daß bei jedem Atemzug ein leises Schnaufen zu hören war. Welche Träume ihn wohl in die Tiefe zogen, in die ich ihm nicht folgen konnte?
    Jedenfalls beschloß ich, mich mit Lily zu treffen, ohne Adam davon zu erzählen. Vielleicht wollte ich bloß sehen, wie sie war. Vielleicht wollte ich mich mit ihr vergleichen oder einen

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