Höhenangst
kein Interesse daran zu haben, sich mit mir zu unterhalten.
»Gestern habe ich drei Eichhörnchen getötet«, verkündete er plötzlich, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten. »Mit Fallen.«
»Oh.«
»Dieses Ungeziefer! Aber sie kommen immer wieder.
Genau wie die Kaninchen. Von denen habe ich schon sechs erschossen.«
Adam kam mit drei Gläsern voll bernsteinfarbenem Whisky zurück. Er reichte eines seinem Vater und drückte mir ebenfalls ein Glas in die Hand.
»Wenn wir ausgetrunken haben, fahren wir«, sagte er.
Ich trank. Ich wußte nicht, wie spät es war, sah aber, daß es draußen schon dunkel wurde. Mir war nicht ganz klar, was wir hier eigentlich taten, und im Grunde wäre es mir lieber gewesen, erst gar nicht hergekommen zu sein. Eines aber hatte mir dieser Besuch verdeutlicht: Ich hatte nun ein neues, lebendiges Bild von dem Kind, das Adam einmal gewesen war: ein einsamer kleiner Junge in einem großen, kalten Haus, beherrscht von seinen viel zu alten Eltern, mit zwölf Jahren von seiner Mutter verlassen. Was für eine Art von Leben mußte er geführt haben? Wie mußte es für ihn gewesen sein, allein bei diesem Vater aufzuwachsen? Der Whisky brannte in meiner Kehle und wärmte meine Brust. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen, und wie es aussah, würde ich hier auch nichts bekommen. Mir wurde bewußt, daß ich nicht mal meinen Mantel ausgezogen hatte. Jetzt lohnte es sich wohl auch nicht mehr.
Colonel Tallis saß auf dem Sofa und trank wortlos seinen Whisky. Plötzlich fiel sein Kopf nach hinten, sein Mund öffnete sich leicht, und er begann leise zu schnarchen.
»Komm«, sagte Adam. »Komm mit.«
Wir gingen wieder die Treppe hinauf und betraten eines der Schlafzimmer. Adams altes Zimmer mit dem Fasanenbild. Er schloß die Tür und schob mich auf das schmale Bett. In meinem Kopf drehte sich alles. »Du bist mein Zuhause«, sagte er rauh.
»Verstehst du? Mein einziges Zuhause. Beweg dich nicht. Halt ganz still!«
Als wir wieder herunterkamen, wachte der Colonel für einen Moment auf.
»Geht ihr schon?« fragte er. »Kommt bald wieder.«
»Nehmen Sie doch noch eine Portion von dem Hackfleischauflauf, Adam.«
»Nein, danke.«
»Oder ein bißchen Salat. Bitte nehmen Sie noch etwas Salat. Ich weiß, ich habe zuviel gemacht. Es ist immer so schwer, die Menge richtig zu bemessen, nicht wahr? Aber für solche Fälle hat man ja einen Kühlschrank.«
»Nein, vielen Dank, keinen Salat mehr.«
Meine Mutter war vor lauter Nervosität rot angelaufen und redete zuviel. Mein Vater, ein eher schweigsamer Typ, hatte noch fast gar nichts gesagt. Er saß am Kopfende des Tisches und kämpfte sich durch das Essen.
»Wein?«
»Keinen Wein mehr, danke.«
»Als Alice noch ein kleines Mädchen war, konnte sie von meinem Hackfleischauflauf gar nicht genug kriegen.
Stimmt’s, Alice, mein Liebes?« Sie war mit den Nerven am Ende. Ich lächelte sie an, gab ihr aber keine Antwort, denn im Gegensatz zu ihr brachte ich keinen Ton heraus, wenn ich nervös war.
»Wirklich?« Völlig unerwartet hellte sich Adams Miene auf.
»Was hat sie denn sonst noch gern gegessen?«
»Baisers.« Meiner Mutter war anzusehen, wie erleichtert sie war, endlich einen Gesprächsstoff gefunden zu haben.
»Und die Kruste meines Schweinebratens. Und meinen Brombeer-Apfel-Kuchen. Den Bananenkuchen mochte sie auch gern. Sie war immer ein so dünnes, kleines Ding, aber Sie glauben gar nicht, wieviel sie verdrücken konnte.«
»Stimmt, ich war ein richtiger Vielfraß.«
Adam legte seine Hand auf mein Knie. Ich spürte, wie ich rot wurde. Mein Vater hustete ausgiebig und öffnete dann den Mund, um etwas zu sagen. Adams Hand schob sich unter meinen Rocksaum und streichelte meinen Oberschenkel.
»Das kommt alles ein bißchen plötzlich«, verkündete mein Vater.
»Ja«, pflichtete ihm meine Mutter eilig bei. »Wir freuen uns sehr, natürlich freuen wir uns sehr, und ich bin sicher, daß Alice sehr glücklich sein wird, es ist sowieso ihr Leben, sie kann damit machen, was sie will, aber wir haben uns trotzdem gedacht, warum diese Eile? Wenn ihr euch sicher seid, könnt ihr doch noch ein bißchen warten, und dann …«
Adams Hand glitt höher. Ich spürte seinen Daumen zwischen meinen Beinen. Reglos saß ich da, während mein Herz wie wild hämmerte und mein ganzer Körper bebte.
»Wir heiraten am Freitag«, erklärte er. »Und es kommt deswegen so plötzlich, weil auch unsere Liebe so plötzlich gekommen ist.« Er lächelte
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