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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Blick in Adams Vergangenheit werfen. Ich rief sie an, und sie bat mich mit tiefer, heiserer Stimme, sie am Donnerstag vormittag in ihrer Wohnung in Shepherd’s Bush zu besuchen. Am Tag vor unserer Hochzeit.
    Sie war schön. Natürlich war sie schön. Sie hatte silbriges Haar, das nicht gefärbt, aber ein bißchen fettig aussah, und war groß und langbeinig wie ein Model. Aus ihrem bleichen, leicht dreieckig geschnittenen Gesicht starrten mich riesige, weit auseinanderliegende Augen an.
    Sie trug eine ausgebleichte Jeans und trotz des unfreundlichen Wetters ein knappes, etwas schmuddelig wirkendes T-Shirt, unter dem ihr makelloser Bauch hervorblitzte. Sie war barfuß und hatte schlanke, schöne Füße.
    Bei ihrem Anblick wünschte ich, ich wäre nicht gekommen. Wir verzichteten darauf, uns die Hand zu geben. Sie führte mich in ihre Souterrainwohnung, und als sie die Tür öffnete, wich ich erschrocken zurück. In der winzigen, überheizten Wohnung sah es aus wie auf einer Müllhalde. Überall lagen Klamotten herum. Im Spülbecken und auf dem Küchentisch stapelte sich schmutziges Geschirr. Mitten im Raum stand ein verdrecktes Katzenklo. Im ganzen Zimmer waren Zeitschriften und herausgerissene Seiten verstreut. Auf Lilys Kopfkissen stand ein Teller mit einer halben Scheibe Toast und neben dem Bett eine halbvolle Flasche Whisky.
    An der Wand – und bei diesem Anblick hätte ich beinahe die Flucht ergriffen – hing ein riesiges Schwarzweißfoto von Adam, auf dem er sehr ernst wirkte. Bei genauerem Hinsehen stellte ich fest, daß Adam in der ganzen Wohnung präsent war. Mehrere andere Fotos, die sie offensichtlich aus irgendwelchen Bergsteigerbüchern gerissen hatte, waren auf dem Kaminsims aufgestellt, und auf jedem davon war Adam zu sehen. Ein vergilbter Zeitungsartikel, aus dem mir ebenfalls ein Bild von Adam entgegenstarrte, war mit einem Reißnagel an die Wand geheftet. Neben dem Bett stand ein Bild, auf dem Lily und Adam gemeinsam zu sehen waren. Er hatte den Arm um sie gelegt, und sie blickte hingerissen zu ihm auf. Ich schloß einen Moment die Augen. Am liebsten hätte ich mich hingesetzt, aber es war nirgendwo ein freier Platz.
    »Ich habe nicht saubergemacht«, sagte Lily.
    »Nein.«
    Wir blieben beide stehen.
    »Das war unser Bett«, erklärte sie.

    »Ja«, antwortete ich und starrte auf das Bett. Mir war übel.
    »Seit er weg ist, habe ich es nicht mehr frisch bezogen.
    Ich kann ihn immer noch riechen.«
    »Hören Sie«, begann ich. Das Sprechen bereitete mir Mühe. Ich hatte das Gefühl, in einen schrecklichen Alptraum geraten zu sein, aus dem ich nicht mehr herauskam. »Sie haben gesagt, Sie hätten mir etwas Dringendes mitzuteilen.«
    »Sie haben ihn mir gestohlen«, fuhr sie fort, als hätte sie meine Worte gar nicht registriert. »Er hat mir gehört, und dann sind Sie gekommen und haben ihn mir vor der Nase weggeschnappt.«
    »Nein«, widersprach ich. »Nein. Er hat mich ausgewählt.
    Wir haben einander ausgewählt. Es tut mir leid, Lily. Ich wußte nichts von Ihnen, aber trotzdem …«
    »Sie haben mir mein Leben einfach in Stücke geschlagen, ohne einen Gedanken an mich zu verschwenden.« Sie sah sich in ihrer chaotischen Wohnung um. »Ich war Ihnen völlig egal.«
    Ihre Stimme wurde leiser. »Und jetzt?« fragte sie. In ihren Augen lag eine Art apathisches Entsetzen. »Was soll ich jetzt tun?«
    »Hören Sie, ich glaube, ich sollte besser gehen. Das bringt doch für uns beide nichts.«
    »Sehen Sie her«, sagte sie und zog ihr T-Shirt aus.
    Bleich und schlank stand sie vor mir. Ihre kleinen Brüste hatten große bräunliche Brustwarzen. Ich konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Dann drehte sie sich um. Über ihren Rücken zogen sich blasse Striemen.
    »Das hat er getan«, erklärte sie triumphierend. »Na, was sagen Sie jetzt?«

    »Ich muß gehen«, antwortete ich, blieb aber wie angewurzelt stehen.
    »Als Zeichen seiner Liebe. Er hat mich gezeichnet. Hat er das bei Ihnen auch gemacht? Nein? Bei mir schon. Weil ich zu ihm gehöre. Er kann mich nicht einfach so wegwerfen.«
    Ich ging zur Tür.
    »Das ist noch nicht alles«, sagte sie.
    »Wir heiraten morgen.« Ich öffnete die Tür.
    »Das ist noch nicht alles, was er …«
    Ein Gedanke schoß mir durch den Kopf.
    »Wissen Sie, wo er wohnt?«
    Sie sah mich verwirrt an.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Leben Sie wohl.«
    Ich schloß die Tür und rannte schnell die paar Stufen zur Straße hinauf. Nach Lilys Wohnung rochen sogar die Autoabgase

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