Höhenangst
Stille erlebt. In der Hütte gab es keine Vorhänge, und abgesehen von den vereinzelten Sternen war die Nacht draußen tintenschwarz.
Mir wurde bewußt, daß ich aufs Klo mußte. Ich stand auf und ging zur Tür. Als ich sie öffnete, traf mich die eisige Luft wie ein Schlag. Ich zog die Tür hinter mir zu und ging in die Nacht hinaus. Dabei hatte ich wieder dieses leicht beängstigende Gefühl, daß wir ganz allein auf der Welt waren – und daß das nun immer so bleiben würde.
Ich hörte Adam aus der Hütte kommen und die Tür hinter sich schließen. Wenige Augenblicke später schlang er von hinten die Arme um mich und hüllte mich mit seiner Wärme ein.
»Komm, dir wird sonst nur wieder kalt«, sagte er.
»Ich weiß nicht, ob mir das gefällt.«
»Laß uns reingehen, mein Liebes.«
Wir tranken weiter Whisky und beobachteten die zuckenden Flammen. Adam warf noch ein paar Scheite ins Feuer. Inzwischen war es in der Hütte ziemlich heiß, und ein angenehmer Harzgeruch erfüllte den Raum. Lange Zeit saßen wir da, ohne etwas zu sagen oder uns zu berühren.
Als er schließlich seine Hand auf meinen Arm legte, bekam ich eine Gänsehaut. Wir zogen uns aus, jeder für sich, und beobachteten einander. Dann setzten wir uns nackt im Schneidersitz auf den Boden und sahen uns in die Augen. Ich fühlte mich seltsam scheu und unsicher. Er nahm meine Hand, deren Ringfinger das neue goldene Band zierte, hob sie an seinen Mund und küßte sie.
»Vertraust du mir?« fragte er.
»Ja.« Oder besser: nein, nein, nein, nein.
Er reichte mir die Whiskyflasche, und ich nahm einen Schluck. Der Alkohol brannte in meiner Kehle.
»Ich möchte etwas tun, das noch nie jemand mit dir gemacht hat.«
Ich gab ihm keine Antwort. Ich hatte das Gefühl, in irgendeinen Traum geraten zu sein. Einen Alptraum. Wir küßten uns, aber nur ganz sanft. Er ließ seine Finger über meine Brüste gleiten und dann weiter über meinen Bauch.
Ich zählte währenddessen seine Rückenwirbel. Wir hielten uns ganz behutsam in den Armen. Eine Seite meines Körpers glühte von der Hitze des Feuers, die andere war eiskalt. Adam forderte mich auf, mich auf den Rücken zu legen, und ich tat es. Vielleicht hatte ich zuviel Whisky getrunken und zuwenig Salami gegessen. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, über einem Abgrund zu schweben, irgendwo in der kalten, kalten Dunkelheit. Ich schloß die Augen, aber er drehte mein Gesicht in seine Richtung und sagte: »Sieh mich an.«
Sein Gesicht lag im Schatten. Ich konnte nur Teile seines Körpers ausmachen. Es fing so zärtlich an und wurde ganz langsam immer wilder. Schritt für Schritt, bis es weh tat.
Ich mußte an Lily und die Striemen auf ihrem Rücken denken. Vor meinem geistigen Auge sah ich Adam oben auf seinen hohen Bergen stehen, inmitten von Angst und Tod. Wie konnte ich hierher in diese schreckliche Stille geraten? Warum ließ ich zu, daß er mir das antat, und was für ein Mensch war ich geworden, daß ich ihn gewähren ließ? Erneut schloß ich die Augen, und diesmal befahl er mir nicht, sie wieder zu öffnen. Er legte die Hände um meinen Hals und sagte: »Beweg dich jetzt nicht mehr, und hab’ keine Angst.« Dann begann er zuzudrücken. Ich wollte ihn bitten aufzuhören, aber aus irgendeinem Grund tat ich es nicht, konnte es nicht. Ich lag neben dem Feuer auf den Schlafsäcken, und er drückte zu. Ich hielt die Augen geschlossen und die Hände still: mein Hochzeitsgeschenk für ihn, mein Vertrauen. Die Flammen tanzten über meine geschlossenen Augenlider, und mein Körper wand sich unter seinen Händen, als hätte ich keine Kontrolle mehr über ihn. Ich spürte das Blut durch meinen Körper rauschen. Mein Herz hämmerte, mein Kopf dröhnte. Was ich empfand, war keine Lust mehr, aber auch kein Schmerz. Ich war an einem anderen Ort, in einer anderen Welt, in der sich alle Grenzen aufgelöst hatten. O
Gott! Jetzt muß er gleich aufhören. Er muß aufhören.
Hinter den gleißenden Linien des bloßen Fühlens donnerte die Dunkelheit auf mich zu.
»Ist schon gut, Alice.« Er rief mich zurück. Seine Daumen glitten von meiner Luftröhre. Er beugte sich über mich und küßte meinen Hals. Ich schlug die Augen auf.
Mir war schlecht, und ich fühlte mich müde, traurig und besiegt. Er zog mich hoch und drückte mich an sich.
Meine Übelkeit legte sich wieder, aber mein Hals tat so weh, daß ich am liebsten geweint hätte. Ich wollte nach Hause. Er griff nach der Whiskyflasche, nahm einen Schluck und hielt
Weitere Kostenlose Bücher