Höhenangst
sie dann an meinen Mund, als wäre ich ein Baby. Ich ließ mich wieder auf die Schlafsäcke zurücksinken und er deckte mich zu. Eine ganze Weile lag ich so da und starrte in die Flammen. Adam saß neben mir und streichelte mein Haar. Langsam glitt ich in den Schlaf hinüber, während Adam neue Scheite auf das verlöschende Feuer legte.
Irgendwann in der Nacht wachte ich auf. Adam lag neben mir, erfüllt von Hitze und Kraft. Ein Mann, auf den man sich verlassen konnte. Das Feuer war ausgegangen, aber die Asche glühte noch. Meine linke Hand, die nicht ganz unter der Decke lag, war eiskalt.
17. KAPITEL
»Nein!« rief Adam und ließ seine Faust so heftig auf den Tisch niedersausen, daß die Gläser in die Höhe sprangen.
Alle Gäste des Pubs drehten sich nach ihm um. Adam schien das gar nicht zu bemerken, ihm fehlte jeder Sinn für das, was meine Mutter Anstandsformen nannte: »Ich will dieser bescheuerten Journalistin kein Interview geben!«
»Hör zu, Adam«, begann Klaus in besänftigendem Ton.
»Ich weiß, daß du …«
»Ich will nicht über das reden, was da oben auf dem Berg passiert ist. Es ist vorbei, abgeschlossen, finito. Ich habe keine Lust, die ganze Scheiße noch mal aufzuwärmen, nicht einmal, um für dein Buch zu werben.«
Er wandte sich an mich. »Sag du es ihm.«
Ich sah Klaus achselzuckend an. »Er will nicht, Klaus.«
Adam nahm meine Hand, preßte sie gegen sein Gesicht und schloß die Augen.
»Wenn du bloß ein einziges Interview geben würdest, dann …«
»Er will nicht, Klaus«, wiederholte ich. »Hörst du denn nicht, was er sagt?«
»Ist ja gut, ist ja gut!« Als Zeichen seiner Kapitulation riß Klaus betont theatralisch beide Hände hoch.
»Trotzdem habe ich ein Hochzeitsgeschenk für euch beide.« Er beugte sich hinunter und zog eine Flasche Champagner aus einer Segeltuchtasche zu seinen Füßen.
»Ich, ähm, wünsche euch alles Gute und viel Glück. Trinkt ihn irgendwann mal im Bett.«
Ich küßte ihn auf die Wange. Adam lehnte sich lachend auf seinem Stuhl zurück.
»Also gut, du hast gewonnen, ein einziges Interview.« Er stand auf und streckte mir die Hand entgegen.
»Geht ihr schon? Daniel wollte später eventuell noch vorbeikommen.«
»Wir müssen ins Bett und den Champagner trinken«, erklärte ich. »Das duldet keinen Aufschub.«
Als ich am nächsten Tag von der Arbeit nach Hause kam, war die Journalistin bereits da. Sie saß Adam gegenüber, die Knie der beiden berührten sich fast, und auf dem Tisch neben ihr lief ein Kassettenrecorder. Sie hatte ein Notizbuch auf dem Schoß, schrieb aber nichts hinein. Statt dessen starrte sie Adam unverwandt an, während er sprach.
»Ignorieren Sie mich einfach«, sagte ich, als sie Anstalten machte aufzustehen. »Ich koche mir nur schnell eine Tasse Tee und verschwinde dann wieder. Möchten Sie etwas trinken?« Ich zog Mantel und Handschuhe aus.
»Whisky«, antwortete Adam. »Das ist Joanna, vom Participant. Und das ist Alice.« Er nahm mich am Handgelenk und zog mich zu sich hin. »Meine Frau.«
»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Alice«, sagte Joanna. »In keinem der Zeitungsausschnitte wurde erwähnt, daß Sie verheiratet sind.«
Durch ein schweres Brillengestell musterten mich kluge Augen.
»Das liegt daran, daß keine der Zeitungen davon wußte«, sagte Adam.
»Klettern Sie auch?« fragte Joanna.
Ich lachte. »Nein, überhaupt nicht, ich steige nicht mal eine Treppe hoch, wenn ein Lift zur Verfügung steht.«
»Es muß ein eigenartiges Gefühl für Sie sein zurückzubleiben und zu warten«, fuhr sie fort. »Und sich seinetwegen Sorgen zu machen.«
»Bis jetzt mußte ich noch nicht warten«, antwortete ich vage und schickte mich an, das Teewasser aufzusetzen.
»Außerdem habe ich mein eigenes Leben«, fügte ich hinzu, fragte mich dabei aber, ob das inzwischen nicht eine Lüge war.
Ich mußte wieder an unser seltsames Flitterwochenende im Lake District denken, wo ich zugesehen hatte, wie Adam wie eine Fliege einen überhängenden Felsen hinaufgeklettert war, ein großes Stück Himmel hinter und unter sich. Damals hatte ich einen plötzlichen und heftigen Anfall von Heimweh nach meinem alten, vertrauten, tröstlichen Leben verspürt, einem Leben, in dem es Freunde, Blödeleien und Videoabende gegeben hatte. Und normale Gefühle. Das, was in der Hütte zwischen Adam und mir geschehen war – die Gewalt, die er mir mit meinem Einverständnis angetan hatte –, beunruhigte mich immer noch. Ich versuchte, nicht
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