Höhenangst
Fotze!« Er riß die Hand hoch und schlug mir ins Gesicht. Ich taumelte zurück. Als ich an meine Wange faßte, merkte ich, daß mir das Blut schon am Hals hinunterlief. Der Mann hatte den Mund weit aufgerissen, und ich sah seine violette, geschwollen wirkende Zunge. Er hob erneut die Hand. O
Gott, ein Verrückter! Mir schoß der Gedanke durch den Kopf, daß das der Mann sein mußte, der uns ständig diese Nachrichten schickte. Derjenige, der es auf uns abgesehen hatte. Dann schloß ich die Augen: Ich wollte es schnell hinter mich bringen. Der Schlag blieb aus.
Ich öffnete die Augen. Es war eine Szene wie aus einem Alptraum. Der Mann hatte plötzlich ein Messer in der Hand, aber es war nicht auf mich gerichtet, sondern auf Adam. Adam hieb dem Mann die Faust ins Gesicht. Mit einem Schmerzensschrei ließ er das Messer fallen. Adam schlug erneut zu, mit voller Wucht rammte er seinem Gegner die Faust in den Hals. Dann in den Magen. Der tätowierte Mann krümmte sich. Aus einer Platzwunde unter dem linken Auge lief ihm Blut über die Wange.
Mein Blick fiel auf Adams Gesicht: Es wirkte ausdruckslos, wie versteinert. Er versetzte dem Mann einen weiteren Schlag und trat dann einen Schritt zurück, weil sein Gegner bereits zu Boden ging. Wimmernd landete er vor meinen Füßen und hielt sich den Magen.
»Aufhören!« keuchte ich. Inzwischen hatte sich eine kleine Menschenmenge angesammelt. Pauline war auch dabei. Sie hatte erschrocken den Mund aufgerissen.
Adam trat dem Mann in den Bauch.
»Adam!« Ich packte ihn am Arm und versuchte ihn wegzuzerren. »Um Himmels willen, hör auf! Das reicht !«
Adam blickte auf den Mann hinunter, der sich am Boden wand. »Alice möchte, daß ich aufhöre«, sagte er. »Also höre ich auf. Obwohl ich dich am liebsten umbringen würde, weil du es gewagt hast, sie anzufassen. « Er hob meine Tasche vom Boden auf. Dann drehte er sich zu mir um und nahm mein Gesicht in beide Hände. »Du blutest ja!« sagte er. Er leckte einen Teil des Bluts weg. »Alice, mein Liebling, er hat dich blutig geschlagen!«
Aus den Augenwinkeln bekam ich mit, daß immer mehr Leute zusammenliefen, aufgeregt miteinander sprachen und sich fragten, was passiert sei. Adam hielt mich fest.
»Tut es sehr weh? Bist du in Ordnung? Sieh nur, was er deinem schönen Gesicht angetan hat!«
»Ja. Ich weiß nicht. Ich glaube schon. Ist er auch in Ordnung? Ist er …?«
Ich sah zu dem Mann hinunter. Er bewegte sich noch, wirkte aber ziemlich angeschlagen. Adam würdigte ihn keines Blickes. Er zog ein Taschentuch heraus, befeuchtete es mit Speichel und fing an, das Blut von meiner Wange zu wischen. Eine Sirene heulte, und über Adams Schulter sah ich einen Streifenwagen, gefolgt von einem Krankenwagen.
»Gut gemacht, Mann!« Ein Passant von kräftiger Statur und in einem langen Mantel trat auf uns zu und streckte Adam die Hand hin. Verwundert beobachtete ich, wie sich die beiden Männer die Hand gaben. Das Ganze war ein Alptraum, eine Farce.
»Alice, bist du in Ordnung?« Es war Pauline. Natürlich.
Sie war ja auch noch hier. Das hatte ich ganz vergessen.
»Ja, mir fehlt nichts.«
Inzwischen waren wir von Polizisten umringt. Der Streifenwagen parkte am Straßenrand. Der Vorfall hatte plötzlich etwas Offizielles, was es irgendwie leichter machte, damit umzugehen. Die Polizisten beugten sich über den Mann und zogen ihn hoch. Er wurde weggeführt.
Adam legte mir seine Jacke um die Schultern. Dann strich er mir das Haar aus dem Gesicht.
»Ich besorge uns ein Taxi«, sagte er. »Die Polizei kann warten. Rühr dich nicht von der Stelle!« Er wandte sich an Pauline.
»Passen Sie auf sie auf!« sagte er und sprintete los.
»Er hätte ihn fast umgebracht«, wandte ich mich an Pauline.
Sie sah mich mit einem seltsamen Blick an. »Er scheint dich wirklich zu vergöttern«, sagte sie.
»Aber stell dir vor, er hätte …«
»Er hat dich gerettet, Alice.«
Am nächsten Tag rief die Journalistin, Joanna, erneut bei uns an. Sie hatte in der Abendzeitung von dem Überfall gelesen. Das würde ihr Interview in einem anderen Licht erscheinen lassen, in einem völlig anderen Licht. Sie wollte, daß wir beide einen Kommentar dazu abgaben.
»Sie können mich mal«, sagte Adam freundlich und reichte mir das Telefon.
»Was ist das für ein Gefühl«, fragte sie mich, »mit einem Mann wie Adam verheiratet zu sein?«
»Was für ein Mann ist Adam denn Ihrer Meinung nach?«
»Ein Held«, antwortete sie.
»Es ist ein großartiges
Weitere Kostenlose Bücher