Höhenangst
zuviel darüber nachzudenken, und verbannte das Ganze in eine dunkle Ecke meines Kopfes. Ich hatte mein Leben in seine Hände gelegt und ein paar Augenblicke lang tatsächlich geglaubt, er würde mich töten, hatte aber trotzdem nicht dagegen angekämpft. Ein Teil von mir war darüber entsetzt, ein Teil fand es erregend.
Als ich so neben dem Kessel stand und mit einem Ohr dem Interview lauschte, sah ich auf der Küchentheke ein zusammengeknülltes, mit dicken schwarzen Buchstaben beschriebenes Blatt Papier liegen. Ich strich es glatt, konnte mir aber bereits denken, was mich erwartete. ICH
WERDE DICH NICHT IN RUHE LASSEN, stand da.
Diese Mitteilungen verursachten mir jedesmal eine Gänsehaut. Ich fragte mich, warum wir nicht schon längst zur Polizei gegangen waren. Es schien, als hätten wir uns an die Nachrichten gewöhnt, als wären sie Regenwolken über unserem Leben, die wir als gegeben hinnahmen. Als ich aufblickte, sah ich, daß Adam mich beobachtete. Ich grinste zu ihm hinüber, riß das Blatt in kleine Stücke und ließ es mit verächtlicher Miene in den Papierkorb fallen.
Mit einem zustimmenden Nicken wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Joanna zu.
»Sie waren gerade dabei, mir von den letzten paar Stunden zu erzählen«, wandte sich Joanna erneut an Adam. »Hat sich die Katastrophe irgendwie angekündigt?«
»Sie wollen wissen, ob mir bereits klar war, daß all diese Leute dort oben sterben würden? Nein, natürlich nicht.«
»Wann ist Ihnen dann klargeworden, daß das Ganze ein schlimmes Ende nehmen würde?«
»Natürlich erst, als das schlimme Ende bereits da war.
Kannst du mir den Whisky bringen, Alice?«
Joanna warf einen Blick in ihr Notizbuch und versuchte es anders.
»Wie war das mit den befestigten Seilen?« fragte sie.
»Wenn ich das richtig verstanden habe, hatten Greg McLaughlin und andere Expeditionsführer die verschiedenfarbigen Seile gespannt, die den Grat hinauf bis zum Gipfel führten. Aber irgendwann löste sich der letzte Abschnitt des Seils, was höchstwahrscheinlich fatale Folgen für die Bergsteiger hatte.«
Adam starrte sie an. Ich brachte ihm einen doppelten Whisky.
»Möchten Sie auch einen, Joanna?« fragte ich. Sie schüttelte den Kopf und wartete weiter auf Adams Antwort. Ich schenkte mir selbst einen Schluck ein und kippte ihn hinunter.
»Wie ist es Ihrer Meinung nach dazu gekommen?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen?« antwortete er schließlich. »Es war bitterkalt. Wir befanden uns mitten in einem Schneesturm und waren alle völlig weggetreten.
Nichts und niemand funktionierte mehr. Ich weiß nicht, was mit dem Seil passiert ist, genausowenig wie alle anderen. Aber Sie brauchen unbedingt einen Schuldigen, stimmt’s?« Er nahm einen Schluck von seinem Whisky.
»Sie wollen eine schöne, klare Geschichte schreiben, in der steht, daß Soundso eine Gruppe von Leuten in den Tod geführt hat. Aber so läuft das da oben in der Todeszone nicht, Lady. Es ist nicht einer der Held und der andere der Schurke. Wir sind alle bloß Menschen, und während wir auf diesem Berg festsaßen, machten immer mehr von unseren Gehirnzellen schlapp.«
»Das Buch deutet aber an, daß Sie sich sehr heldenhaft benommen haben«, erklärte Joanna, die sich durch seinen Ausbruch nicht aus der Ruhe bringen ließ. »Und«, fuhr sie vorsichtig fort, »es deutet auch bis zu einem gewissen Grad an, daß der Leiter der Expedition zumindest einen Teil der Verantwortung trägt. Greg.«
»Kannst du mir noch einen einschenken, Alice?« Adam hielt mir sein Glas hin. Als ich es ihm aus der Hand nahm, beugte ich mich zu ihm hinunter und küßte ihn. Ich fragte mich, wie lange ich noch warten sollte, bevor ich Joanna zum Gehen aufforderte.
»Wie ich höre, ist Greg zur Zeit in ziemlich schlechter Verfassung. Glauben Sie, das liegt an seinen Schuldgefühlen?«
Wieder gab Adam keine Antwort. Statt dessen schloß er kurz die Augen und legte den Kopf zurück. Er wirkte sehr müde.
Sie versuchte es noch einmal. »Glauben Sie, daß mit dieser Expedition ein unnötiges Risiko eingegangen wurde?«
»Offensichtlich. Schließlich sind dabei Menschen ums Leben gekommen.«
»Bedauern Sie es, daß die Berge derart kommerzialisiert worden sind?«
»Ja.«
»Trotzdem sind Sie ein Teil dieses Geschäfts.«
»Ja.«
»Eine von den Personen, die damals ums Leben kamen«, sagte Joanna, »stand Ihnen sehr nahe. Eine Exfreundin, glaube ich.«
Er nickte.
»Hat es Ihnen sehr zu schaffen gemacht, daß Sie
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