Höhenangst
mußte ich es einfach herausfinden.
An einem Wochenende Ende März fuhren wir zum zweitenmal zum Haus seiner Familie. Adam mußte mit einem gemieteten Lieferwagen einen Teil seiner Ausrüstung holen, die er in einem der großen Nebengebäude eingelagert hatte.
»Ich brauche ihn erst am Samstag zurückbringen. Wir könnten eine Nacht in einem Hotel bleiben.«
»Mit Zimmerservice«, antwortete ich. Es kam mir nicht in den Sinn, ihm vorzuschlagen, bei seinem Vater zu übernachten.
»Und mit einem schönen Badezimmer, bitte.«
Wir brachen zeitig auf. Es war ein klarer, frischer Frühlingsmorgen. Die Bäume trieben schon ein wenig aus, und über den Feldern, die wir auf unserem Weg nach Norden passierten, löste sich gerade der Nebel auf. Alles schien neue Hoffnung auszustrahlen. Wir hielten an einer Autobahnraststätte an, um zu frühstücken. Adam trank Kaffee, rührte sein dänisches Gebäck aber kaum an, während ich mir ein riesiges Specksandwich – rosa Speckstreifen zwischen fettigen Weißbrotscheiben – und eine Tasse heiße Schokolade einverleibte.
»Ich mag Frauen mit Appetit«, sagte er. Also verschlang ich auch noch sein Gebäck.
Wir trafen gegen elf ein, und alles war wie bei unserem letzten Besuch. Niemand begrüßte uns, und von Adams Vater war nichts zu sehen. Wir traten in die dunkle Diele, wo die Großvateruhr Wache hielt, und zogen unsere Mäntel aus. Dann gingen wir in das eisige Wohnzimmer, in dem auf einem Beistelltisch ein einzelnes leeres Glas stand. Adam rief nach seinem Vater, aber es kam keine Antwort.
»Am besten, wir machen uns gleich an die Arbeit«, sagte er.
»Es dürfte eigentlich nicht lange dauern.«
Wir zogen unsere Mäntel wieder an und traten durch die Hintertür. Es gab mehrere Nebengebäude unterschiedlicher Größe. Wie mir Adam erklärte, hatte zu dem Anwesen früher eine Farm gehört. Die Gebäude waren größtenteils baufällig, aber ein paar wirkten notdürftig zusammengeflickt. Ihre Dächer waren neu eingedeckt und das Unkraut vor ihren Türen entfernt worden. Im Vorübergehen spähte ich durch die Fenster. In einem der Gebäude standen ramponierte Möbel, Kisten mit leeren Weinflaschen, alte Speicheröfen und, in einer Ecke, ein Tischtennistisch ohne Netz. In einem breiten Regalfach lagen hölzerne Tennis- und ein paar Kricketschläger. In dem Regal darüber reihten sich zahllose Farbdosen aneinander. In einem anderen Schuppen waren Werkzeuge gelagert. Ich konnte einen Rasenmäher und ein paar Rechen erkennen, außerdem eine rostige Säge, verschiedene Spaten, Heugabeln, Hacken, große Säcke mit Kompost und Zement, gezahnte Sägen.
»Was sind denn das für Dinger?« fragte ich und deutete auf mehrere silbrig schimmernde Kisten, die mit großen Haken an der Wand befestigt waren.
»Eichhörnchenfallen. Eichhörnchen zu jagen ist eines seiner Hobbys.«
»Ein reizendes Hobby. Besitzt er auch Waffen?«
»Jede Menge.«
In eines der Gebäude wäre ich am liebsten sofort hineingegangen, weil ich durch die gesprungene Fensterscheibe eine wunderschöne Porzellanteekanne mit abgebrochenem Schnabel aus einer großen Schachtel ragen sah und an einem Haken an der Wand einen zerrissenen, nicht mehr flugtüchtigen Drachen. Offenbar wurden in dem Raum die alten Gegenstände der Familie aufbewahrt, die niemand mehr brauchte, von denen sich aber auch niemand endgültig trennen konnte. Auf dem Boden stapelten sich Koffer und andere Behälter. Alles wirkte sehr ordentlich und furchtbar traurig. Ob die Sachen, die Adams Mutter gehört hatten, vor langer Zeit wohl ebenfalls hier gelandet und seitdem nie wieder von jemandem angerührt worden waren? Ich fragte Adam danach, aber er zog mich von dem Fenster weg.
»Laß das Zeug, Alice. Es sind lauter Dinge, die er schon vor Jahren hätte wegwerfen sollen.«
»Siehst du sie dir nie an?«
»Wozu? Hier, das ist der Raum, in dem meine Sachen lagern.«
Ich hatte nicht damit gerechnet, daß es so viel sein würde. Adams Ausrüstung nahm fast den ganzen niedrigen Raum in Anspruch. Alles war sauber verpackt und gestapelt. Viele der Kisten und Taschen trugen Aufkleber mit Adams kühner Schrift. In einer Ecke lagen fest zusammengerollte Seile unterschiedlicher Dicke und Farbe. Von einem der Dachbalken hingen mehrere Eispickel. Außerdem entdeckte ich ein paar leere Rucksäcke, die alle ordentlich verschlossen waren, damit sie innen nicht verstaubten. Eine lange, schlanke Nylontasche enthielt ein Zelt, eine andere, kürzere, einen
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