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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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ein Genuß es für mich war, meine feuchten Füße in diese warmen, trockenen Socken zu stecken.«
    »Bäume«, sagte ich.
    »Was?« fragte Daniel.
    »Warum klettert ihr nicht auf Bäume? Warum müssen es unbedingt Berge sein?«
    Daniel lächelte breit.
    »Ich glaube, die Beantwortung dieser Frage überlasse ich lieber dem berühmten Seeräuber und Bergsteiger Adam Tallis.«
    Adam überlegte einen Moment.
    »Auf einem Baumwipfel kann man nicht so gut für Fotos posieren«, antwortete er schließlich. »Deswegen klettern die meisten Leute lieber auf Berge als auf Bäume.
    Damit sie auf dem Gipfel für ein Foto posieren können.«
    »Aber doch nicht du, mein Liebling«, sagte ich. Dann blickte ich verlegen zu Boden, weil mir selbst aufgefallen war, in welch ernstem Ton ich das gesagt hatte.
    Schweigend lagen wir da und starrten in das Feuer. Ich nippte an meinem Kaffee. Einem Impuls folgend, lehnte ich mich zu Deborah hinüber, nahm ihr die Zigarette aus der Hand, zog einmal daran und gab sie ihr wieder zurück.
    »Ich könnte so leicht wieder mit dem Rauchen anfangen«, sagte ich. »Vor allem an einem Abend wie diesem, wenn ich nach einem schönen Essen leicht beschwipst mit ein paar Freunden vor dem Kamin liege.«
    Ich sah zu Adam hinüber, dessen Blick auf mich gerichtet war. Sein Gesicht leuchtete im Schein des Feuers.
    »Der wahre Grund ist ein ganz anderer. Bevor ich Adam kennenlernte, hätte ich mir vielleicht gewünscht, mal so etwas zu tun. Das ist das Komische daran. Seit ich Adam kenne, weiß ich, was für eine wundervolle Sache es ist, auf einen Berg zu steigen, aber gleichzeitig habe ich nicht mehr den Wunsch, es zu tun. Wenn ich es täte, wäre ich gern diejenige, die sich um andere Leute kümmert. Ich würde nicht wollen, daß andere sich ständig um mich kümmern müssen.« Ich warf einen Blick in die Runde.
    »Wenn wir zusammen auf einen Berg klettern würden, müßtet ihr mich mit vereinten Kräften hinaufschleppen.
    Deborah würde dabei wahrscheinlich in eine Gletscherspalte fallen, und Daniel müßte mir seine Handschuhe überlassen. Mir würde nichts passieren. Ihr wärt diejenigen, die dafür bezahlen müßten.«

    »Du hast heute abend sehr schön ausgesehen.«
    »Danke«, antwortete ich schläfrig.
    »Und was du über Bäume gesagt hast, war lustig.«
    »Danke.«
    »Es hat mich fast vergessen lassen, daß du Debbie über meine Vergangenheit ausgefragt hast.«
    »Ah.«
    »Weißt du, was ich schön fände? Wenn wir so tun könnten, als hätte unser Leben erst in dem Moment begonnen, als wir uns kennenlernten. Glaubst du, das ist möglich?«
    »Ja«, antwortete ich, obwohl ich eigentlich nein meinte.

    25. KAPITEL
    Das, was ich in der Schule über Geschichte gelernt, aber größtenteils wieder vergessen hatte, ließ sich in praktische Kategorien einteilen: das Mittelalter, die Reformation, die Renaissance, die Tudors und die Stuarts. Für mich zerfiel Adams früheres Leben mittlerweile in ähnliche Kategorien: Streifen abgegrenzter Zeit, wie gefärbter Sand in einer Flasche. Es gab das Lily-Zeitalter, das Françoise-Zeitalter, das Lisa-Zeitalter, das Penny-Zeitalter. Mit Adam sprach ich inzwischen nicht mehr über seine Vergangenheit, sie war ein Tabuthema geworden. Aber ich machte mir weiterhin darüber Gedanken. Ich sammelte kleine Details über die Frauen, die er geliebt hatte, und fügte sie in das größere Bild ein. Dabei wurde mir klar, daß es in der Chronologie eine Lücke gab – eine leere Stelle, wo eine Frau hätte sein sollen, aber keine war. Die Zeitspanne, in der er keine feste Beziehung gehabt hatte, betrug nur etwa ein Jahr, aber selbst das schien so gar nicht in das Muster zu passen, das ich mittlerweile in Adams Leben zu erkennen glaubte.
    Es war, als würde eine Gestalt durch die Landschaft auf mich zukommen und dann plötzlich, wenn sie schon ganz nah ist, vom Nebel verschluckt werden. Meinen Berechnungen nach mußte diese Lücke etwa acht Jahre zurückliegen. Ich wollte niemanden danach fragen, aber das Gefühl, die Lücke füllen zu müssen, wurde immer stärker. Ich fragte Adam nach Fotos, die ihn in jüngeren Jahren zeigten, aber anscheinend besaß er keine. Ich versuchte, durch beiläufige Fragen herauszubekommen, was er in der betreffenden Zeit getan hatte. Doch während ich auf immer mehr Namen von Berggipfeln und gefährlichen Routen stieß, fand ich nie eine Frau, die in die Lücke zwischen Lisa und Penny gepaßt hätte. Aber als die große Adam-Expertin, die ich war,

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