Hoehenfieber
mich keine Traditionen, das ist antiquiert und dumm.“
„Vanitas Vater ist ein Scheich. Öl?“
„Ja. Die Familie gehört zu den Reichsten des Landes.“
„Erzähl mir mehr.“
„Innerhalb der Familie gibt es sehr unterschiedliche Einstellungen und …“ Sie dachte an die Geschichten, die Van und sie als Kinder oft erzählt bekommen hatten. Von Paris, vom Leben außerhalb des Harems. Von Freiheit und Liebe, die in den engen Grenzen des Brauchtums erstickt waren. „… unterschiedliche Einstellungen und Fronten“, beendete sie ihren Satz. „Vanitas Eltern lernten sich in Frankreich während des Studiums kennen. Ihre Mutter dachte, dass ihr Vater ein zukunftsorientierter, aufgeschlossener Mann sei, der ihre und die Ansichten ihrer Familie teilte und mit dem sie ein Leben in einer Mischform aus Tradition und Moderne führen könne, so wie es einige dubaianische Familien tun. Aber nach der Hochzeit musste sie feststellen, dass sie sich geirrt hatte.“
„Mit Fronten meinst du unter anderem die beiden Militärs, die vom Scheich und Vanitas Familie mütterlicherseits gelenkt werden?“
Quinn nickte und starrte noch immer auf ihre im Schoß verschränkten Finger. „In etwa. Das ist nur das, was nach außen hin sichtbar wird. Die Konflikte währen beinahe seit einem Vierteljahrhundert. Vanitas Vater nahm sich nach seiner ersten Ehefrau, Vans Mutter, drei Nebenfrauen und gründete zudem einen Harem. Es gibt nicht mehr viele Emiratis, die sich einen Harem halten. Er aber wollte auf sein altherkömmliches Recht nicht verzichten.“
„Worauf begründet sich dieses … Recht?“
„Muslimische Würdenträger und Familienoberhäupter berufen sich auf den Koran und legen ihn derart aus, dass ein Mann, der es sich leisten kann, vier Frauen ehelichen und sich dazu so viele Konkubinen halten darf, wie er vermag.“
„Verstehe. Und wie verhält es sich mit Leibeigenen?“
Quinn bezweifelte, dass er wirklich verstand. Was sie erzählte, war nicht einmal die Spitze des Eisbergs. Ein Nicht-Muslim, ein westlicher Mann, jemand, der die Kultur nicht kannte und der darüber hinaus den Reichtum nicht einmal annähernd einzuschätzen wusste, konnte nicht verstehen, was sich hinter den Kulissen der Familie eines Sheikhs abspielte.
„Offiziell gibt es keine Leibeigenen, aber innerhalb einer Sheikh-Familie herrscht ein eigenes Universum, eine Welt, die mit der Realität wenig vergleichbar ist. Jedenfalls verhält sich das in der Familie Antun Sa’ada so. Schon vor meiner Geburt stand fest, dass ich der Prinzessin dienen würde“, sagte Quinn und strich sich müde durch das Gesicht.
„Und wenn du ein Junge geworden wärst?“
Sie sah ihn nicht an, aber sie hörte sein Grinsen, und dass er es schaffte, in ihrer Lage zu scherzen, lockerte den Knoten, der ihren Magen zusammenschnürte.
„Dann wäre ich wohl Prinz Fadis Leibwächter geworden oder ein Eunuch.“
„Gott sei Dank bist du das nicht.“
Sie lachte freudlos.
„Zu Beginn der Ehe war also erst mal alles in Ordnung und erst nach und nach erkannte Vanitas Mutter das wahre Gesicht des Scheichs. Kam es zu einem offenen Konflikt zwischen den Familien?“
„Nein. Vans Mutter hätte ihre Brüder um Hilfe bitten können, aber sie wollte keine Schwierigkeiten. Sie hat im Gegenteil ihre Familie darum gebeten, sich zurückzuhalten.“
„Und wie hat sich die schwelende Spannung über die Jahre hinweg geäußert?“
„Kaum merklich. Beide Familien stehen durch ihre gemeinsamen Ölgeschäfte in einer engen Abhängigkeit zueinander. Sheikh Rashad und Sheikha Sadia sind Cousin und Cousine. Ihre Großväter besaßen gemeinsam drei der größten Ölfelder und haben den Grundstein zu den Familienimperien gesetzt. Ein offenes Zerwürfnis zwischen den Familien hat es nie gegeben. Sheikha Sadias Familie ist dem modernen westlichen Leben gegenüber aufgeschlossen. Ihre Brüder besitzen Häuser in Europa und pendeln zwischen Dubai und Paris oder anderswo hin und her. Sie leben nur zeitweise in Dubai. Sie haben Sadia immer wieder angeboten, ihr eine eigene Existenz aufzubauen, doch Sadia hat abgelehnt. Obwohl sie unglücklich ist, hat sie nie in Erwägung gezogen, ihr Leben im Harem aufzugeben. Als jedoch Sheikh Rashad Vanita traditionell verheiraten wollte, ist sie aktiv geworden und hat mithilfe ihrer Familie dafür gesorgt, dass Van und ich Dubai verließen.“
„Und wie es danach in Dubai weiterging, darüber wisst ihr nichts.“
„Nein.“ Quinn hatte das Gefühl,
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