Hoehenfieber
Virgin mit der Erde.
Quinn legte ihr dankbar eine Hand auf den Oberschenkel. „Bist du okay?“, fragte sie erneut, weil sie noch immer nicht glauben konnte, dass sie alle mehr oder weniger heil aus dem Flugzeug herausgekommen waren.
„Bis auf den Zahn“, nuschelte Van, „glaube schon …“
„Dix und Nash?“
„Nichts Gravierendes.“
Quinn wollte nicht an das unheimliche Bild des Fremden denken, doch die Erinnerung schob sich hartnäckig vor ihr inneres Auge. „Was ist mit dem Verletzten?“, rang sie sich mühsam ab. Schon der Gedanke an ihn bereitete ihr frostige Gänsehaut.
Virgin strich ihr übers Haar. „Keine Bange, Dix und Nash kümmern sich um ihn.“
Vanita hielt weniger als Quinn mit ihrer Neugierde hinter dem Berg. „Warum haben wir ihn mitgenommen? Was ist mit ihm?“
Van hatte den Anblick nicht gesehen, diese gespenstische Szene, die aus einem Horrorfilm zu stammen schien. Ein Mensch konnte weder ganz noch halb unsichtbar sein. Hatte sie womöglich einen heftigen Schlag auf den Kopf bekommen und sich das Ganze nur eingebildet? Vielleicht waren die Verletzungen des Mannes auch so grausam, dass ihr Gehirn sie einfach ausblendete.
Sie stand unter Schock. Dass erklärte einiges, aber nicht die Frage, warum Virgin so schnell reagiert und eine Decke gefordert hatte, um den Mann darin einzuwickeln. Nicht seinen kompletten Körper, nur die Region, die unsichtbar gewesen war.
Was ging hier vor? Verlor sie den Bezug zur Realität? Fantasierte sie? Und warum waren sie aus der Kabine regelrecht geflohen – mit diesem Mann? Wenn alles mit rechten Dingen zugehen würde, hätte Virgin einfach nur Erste Hilfe zu leisten brauchen. Und sie hätten sich mit um die Evakuierung der anderen Passagiere kümmern können.
Sie griff nach Virgins Hand und hob den Kopf, um ihm nun doch ins Gesicht zu sehen. „Sag mir die Wahrheit, Virgin. Wer ist der Mann? Kennst du ihn? Er war halb unsichtbar!“
Quinn sah genau, wie es hinter seinen dunkel graublauen Augen arbeitete. Ein Muskel in seinem Gesicht zuckte.
„Du hast recht . Ich kenne ihn zwar nicht, aber ich habe einen Verdacht, wer er ist“, sagte er. Erneut grub er in dem lockeren Boden , tauschte die Erde auf ihrem Unterleib gegen feuchte aus.
„Die Erklärung reicht mir nicht.“
„Okay. Vermutlich gehört er zu einer Gruppe von Leuten, die wir aufspüren wollen.“
„Ihr seid also dienstlich unterwegs gewesen?“
„Ja.“
Zu Anfang hatte Quinn vermutet, die drei könnten zu einem Junggesellenurlaub in Dubai unterwegs sein. Voll daneben. Ihre Behauptung, FBI-Agenten zu sein, glaubte sie jedoch noch weniger.
„Moment, Moment“, schaltete sich Vanita ein. „Was sagst du, Quinn? Er war halb unsichtbar?“
Auch schon wach? Dass diese Information das Interesse ihrer Freundin weckte, hätte sich Quinn denken können. Van begeisterte sich bereits , seit sie denken konnte für alles Magische, Unerklärliche und Übersinnliche – nur hatte sie zu ihrem größten Bedauern dazu in Quinn nie die richtige Gesprächspartnerin gefunden.
Virgin schüttelte den Kopf. „Quinn muss sich irren.“ Er war ein saumäßig schlechter Lügner.
„Virge?“ Dix kam in gebückter Haltung zu ihnen. „Alles in Ordnung bei euch?“
„So weit …“
„Nash bleibt bei dem Verletzten. Ich erkunde jetzt die Lage. Begleitest du mich?“
„Übernimmst du?“, fragte Virge an Vanita gewandt. „Sobald die Erde auf ihrem Bauch warm wird, tauschst du sie einfach gegen feuchte aus.“
Er sollte nur nicht glauben, dass sie das Thema einfach fallen lassen würde, nur weil er im Moment um eine Antwort herumkam.
Sie sah den Männern hinterher, bis sie zwischen den Sträuchern verschwunden waren. Die Kaffeestauden standen im Abstand von etwa einem Meter und mochten vielleicht anderthalb hoch sein. Jedenfalls konnten Virge und Dix nicht aufrecht laufen, ohne die Büsche weit zu überragen. Ihr Gang hatte etwas von Neandertalern an sich, ihre Arme schleiften beinahe über den Boden.
Quinn lauschte. Die Motorengeräusche waren bereits erstorben, kurz nachdem sie sie gehört hatten. Rufe von Männerstimmen waren gedämpft herübergeschallt, ohne dass man den Wortlaut verstand, doch seit sie in die Plantage eingetaucht waren, verschluckten die Stauden so gut wie jedes Geräusch. Nur das Summen einiger Insekten drang an ihre Ohren und hin und wieder das leise Rascheln der Blätter. Wüsste Quinn es nicht besser, hätte sie auch glauben können, in purer Idylle zu
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