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Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo

Titel: Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Kaul
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Kinder sie auf einer Urlaubsreise ihren Eltern stellen, das ungeduldige »Wie weit ist es denn noch?« und das nicht minder drängende »Wann sind wir endlich da?«, stelle ich mir in dieser Nacht, die partout kein Morgen werden will, nicht. Ich bin ein fast zeitlos, ein fast ortlos agierender kleiner Lichtkegelfleck an einer undurchdringlich dunklen Kili-Flanke geworden. Dass ich zu diesem Zeitpunkt keinen Blick auf meine Armbanduhr zulasse, hat nicht nur damit zu tun, dass ich erst mühsam Handschuhe, Fleecepulli und Anorak nach oben schieben müsste - nur, um mich dann davon überzeugen zu müssen, vor noch gar nicht so langer Zeit von
der Kibo-Hütte aufgebrochen zu sein. Es hat auch damit zu tun, dass dieser eine Blick auf die Uhr Zeit und Kraft kosten würde; jedes noch so kurze Stehenbleiben würde für die Prozession der kleinen Lichtkegel am Berg eine Störung bedeuten. Es würde das zeitlupenhafte Schritt für Schritt der Gruppe durcheinanderbringen und damit einen zusätzlichen Kraftaufwand darstellen. Also besser: weitergehen, ganz langsam weitergehen.
    Aber wohin eigentlich? Das für uns alle verbindliche Ziel, das »Wir wollen auf den Kili-Gipfel«, löst sich in der Zeit des Bergangehens ganz seltsam auf. Das, was ich noch als Realität gespürt habe, dieses kalte, eher unfreundliche Ambiente der Kibo-Hütte, ist das Letzte an klaren Orientierungsdaten.
    Würde mich jetzt, in diesen Minuten des Anstiegs, jemand nach der Richtung zum Kili fragen, wäre meine Antwort nur ein ratloses Kopfschütteln. Jeder Versuch einer wenn auch noch so kleinen Orientierung misslingt mir. Ich stelle Vermutungen darüber an, wie weit das Schwarze, das der Berg sein muss, reicht - Vermutungen darüber, an welcher Stelle der schwarze Berg durch den Himmel darüber wohl abgelöst wird. Wieder Ratlosigkeit. An dieser Stelle des Aufstiegs spüre ich das erste Mal, wie hilfreich ein winziger Lichtpunkt im Gipfelbereich als Orientierungshilfe wäre. Selbst die minimalste Einordnung - hier bin ich jetzt, da will ich hin - würde mir weiterhelfen. Doch diese Hilfe gibt es nicht. Ich fühle mich verdammt allein. Zwar bin ich Teil einer Gruppe mit einem gemeinsamen Ziel, aber da ich dieses Ziel nicht sehe, nicht an einer Stelle meines Herzens spüren kann, fühle ich mich verloren und einsam. Dass da vor und hinter mir Gehgeräusche - Schuhe auf steinigem Untergrund
- zu hören sind, dass da von ziemlich weit her Wortfetzen auf Kisuaheli andeuten, dass da vorn auch noch Menschen sind, nehme ich bei der nun erreichten Höhe von etwa 5000 Metern nur noch gedämpft wahr.

Zwiegespräch mit dem eigenen Körper
    Ich winke in die Richtung, in der ich den Träger meines Rucksacks, Deo, vermute. Ich möchte nur etwas Tee trinken, kurz verschnaufen, zwei, drei Schritte abseits des schmalen Aufstiegspfads eine Atempause erleben. Selbst das Öffnen von Rucksack und Thermoskanne kostet Kraft - wieder eine neue Erfahrung für mich. Zwei, drei Schluck heißer Tee, ein Blick nach unten, dorthin, wo wir von der Hütte aus aufgebrochen sind. Dann der Blick nach oben: Dahin will ich! Zwei Blicke in die Dunkelheit. Aktiv bleiben, nach dem Trinken noch einen Zitronenbonbon lutschen. Deo, der Träger an meiner Seite, kaut vergnügt und putzmunter an den angebotenen Süßigkeiten, etwas für die Seele, und jetzt weiter!
    Mit acht, neun, zehn hintereinander gesetzten Schritten versuche ich, den Abstand zu demjenigen aus der Gruppe, der zuletzt unmittelbar vor mir gegangen war, wieder etwas zu verkürzen. Schritte, die ich schon im nächsten Moment bereue. Ich spüre, dass diese Tempobeschleunigung etwas ist, das mein Körper nicht mehr mitmacht. Kein Herzklopfen, kein Hecheln nach Luft, sondern das ganz eindeutige Signal meines Körpers: Das machst du nicht mit mir.

    Im selben Augenblick bemerke ich etwas, das mich in den nächsten Stunden des Aufstiegs nicht mehr verlassen soll, etwas, das ich in meinem bisherigen Leben so noch nicht gespürt und gehört habe: ein Gespräch, ein richtiges Gespräch zwischen mir, dem Kopfmenschen, und meinem Gegenüber, dem eigenen Körper. Schritt für Schritt meines nun wieder langsameren Gehens nach oben entsteht - manchmal in vollständigen Sätzen, manchmal auch nur als kurzes Hin und Her - ein richtiger Dialog. Ich fühle, dass mein Körper die Entscheidungskompetenz übernommen hat, dass er mir angibt, was ich als Nächstes zu machen habe und worauf ich besser verzichten sollte. So nah bin ich an diesem »Tu

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