Höhepunkte
der sich nachts auf Nestors Gesicht legte. Auch damals schon litt er an Schlaflosigkeit; friedlichen Schlaf hatte er nur in den Armen seiner Mutter gekannt, als er noch ein Baby gewesen war: jeder andere Schlaf war todbringend wie der, den er als krankes Kind in jenen Tagen erlebt hatte, als er nicht atmen konnte und auf Bauch und Rücken voller Striemen war, als er die Augen aufschlug und seine Mutter weinend auf einem Stuhl bei seinem Bett sitzen sah und über sich gebeugt einen Priester, der ihm ein Öl, das entfernt nach Zimt roch, auf die Stirn tupfte und über ihn das Kreuz machte, und er als Kind dachte, er müsse jetzt sterben. Der friedliche Schlaf in den Armen seiner Mutter war es, was ihm fehlte, und so ging er durch diese Straßen, lag im Hader mit der Nacht und wünschte, er hätte Las Piñas oder die liebende Umarmung seiner Mutter nie verlassen. Aber er war ein Mann, coño ! Dazu bestimmt, in der Welt zu leben und seinen Platz einzunehmen unter den anderen Männern, die da überall herumliefen, die die Dinge im Griff hatten und Befehle gaben und sich dem Leben stellten in jedem Augenblick. Warum sollte er anders sein? Tagträumerisch durchstreifte er diese Straßen, und weil er keine feste Route hatte und gern im Zickzack durch Seitengäßchen ein und aus ging und durch Gänge und über Treppen, wußte er nie, wo er am Ende ankommen würde. Dieses Umherwandern gab ihm manchmal das Gefühl, den Sternen verwandt zu sein. Er saß stundenlang am Hafen und schaute sie an: Sterne, die quer durch den Himmel stürzten, Sterne, die in ihrem rosigen und bläulichen Licht dort oben hingen, vor einem Himmel, der nie und nie ein Ende nahm. Was taten sie dort oben? Murmeln und seufzen und auf die närrische Liebe herabblicken, wie sie es in den Liedern taten? Sehnten sie sich danach, sich von dem Dunkel loszureißen, das sie nährte? Waren sie einsam oder traurig, oder hatten sie eine Welt, in der sie spielten wie die Kinder? Oder waren sie zu himmelweiter Abgeschiedenheit bestimmt, einsam und allezeit auf der Suche nach dem Glück -wie Nestor?
Eines Nachts ging er durch einen Park im Bezirk Marianao, wo die rumberos unter den Bäumen an einem Fluß zusammenkamen, um mit ihren unglaublichen batá -Trommeln, perlenbesteckten Rassel-Kalebassen und Trompeten Musik zu machen. In dieser Nacht hatte er bei ihnen mitgetan und Trompete gespielt und war, die Straßen durchwandernd, auf dem Weg nach Hause. In einer Eckbar trank er einen Kaffee und sah ein paar Kindern zu, die zur Musik eines Leierkastenmannes tanzten. Danach überlegte er, in einen Cowboy-Film zu gehen, zog aber dann weiter auf einem Weg, der ihn an einem Hauseingang vorbeiführte, aus dem er Tellerklirren, Schreien und einen Kampf auf der Treppe hörte. Wäre der Streit fünf Minuten vor oder nach seinem Eintreffen ausgebrochen, hätte sich die Situation womöglich ohne sein Dazwischentreten gelöst und die Frau in dem zerrissenen Kleid, der die Tränen über das schöne Gesicht rannen, wäre in ihre Wohnung zurückgegangen oder hätte sich wieder mit dem Mann vertragen. Aber er kam durch Zufall gerade vorbei, als er Geschrei hörte, und dann schnelle, trappelnde Schritte auf der Treppe, Schläge, und dann durch die Tür das raufende Paar sah. Der Mann versuchte ihr die Arme festzuhalten, und die schöne Frau, tränenüberströmt, zog ihn an den Haaren. Beide Gesichter schmerzverzerrt, der Mann in gewalttätiger Wut.
Nestor ging dazwischen, heldenhaft, nahm sich den Mann vor und sagte zu ihm: »Hören Sie mal, Schluß damit, Sie sollen ihr nicht weh tun. Sie ist doch nur eine Frau.« Und dann wurde etwas anderes daraus, der Mann brauste auf, weil diese Schwuchtel da den Nerv hatte, sich mit ihm anzulegen, und darum sagte er: »Und wer bist du, daß du mir so kommst?« und gab Nestor einen Stoß, und Nestor stieß zurück, und dann fingen beide an, mit Fäusten aufeinander einzuschlagen, der Kampf endete draußen auf dem Kopfsteinpflaster, beide Männer bluteten und ihre Hemden waren dreckverschmiert. Nachdem er den Kampf aus der Entfernung mitangesehen hatte, während er sein Abendbrot aus Reis und Huhn und Wurst und tostones zu Ende aß, kam ein Polizist herüber und zerrte die beiden auseinander.
Als der Mann sich beruhigt hatte, ging er wieder zu seiner Frau hinüber, wechselte wütende Worte mit ihr und stürmte dann mit den Worten davon: »Du brauchst mich nicht? Auch gut, mich siehst du nie wieder.« Sie sah zu, wie er wegging. Alle paar Schritte
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