Höhepunkte
liebste Tonart fürs Liederschreiben. Er spielte und träumte sich Melodien zusammen, die in seinem Kopf entstanden wie harte, glänzende Perlenketten. Er behielt das Fenster im Auge, um das erste Tageslicht nicht zu verpassen. Er stellte sich vor, wie er mit dieser Frau auf der Farm in Las Piñas auftauchte, mit ihr über ein Feld lief und seiner Mutter zurief: »Schau, Mamá , hier ist Nestor, dein Sohn, von dem du geglaubt hast, er würde niemals glücklich werden! Pobrecito! Sieh mich an, ich habe eine wunderschöne Frau gefunden, die mich liebt!«
Erwartete, bis er die ersten Geräusche des Tages hörte und die schattenhaften Umrisse der Balkonbrüstung, ein Schnörkel von Blumen, auf dem zerschlissenen Rouleau ausmachen konnte. Im Hof ein Radio: »Und nun aus dem House of Socks, auf der Welle von CMQ in Havanna...« Männer in Unterhemden, die auf ihren Balkons Würste brieten. Sein älterer Bruder, der sich seufzend im Bett umdrehte. Schritte auf dem Flur, ein kleines Mädchen spielte unten Himmel und Hölle, andere beim Schnurspringen...
An diesem Vormittag und bis in den Nachmittag hinein zermarterte ihn die Erwartung. Und so glücklich er sich auch gefühlt hatte, seine Selbstzweifel krochen immer wieder unter seinen sonnenhellen Gedanken hervor. Unter ihrem Fenster stehend, rief er ungefähr zwanzig Minuten lang ihren Namen, aber sie kam nicht heraus. Bis dahin hatte Nestor die Überzeugung gewonnen, daß Maria gelogen hatte und ihn nun versetzte. Und so wandte er sich zum Gehen, in der Absicht, den Nachmittag im Kino in der Stadt zu verbringen. Er war sehr niedergeschlagen, als Maria um die Ecke kam, atemlos und hastig.
»Ich mußte etwas zu meiner Cousine bringen und es hat länger gedauert, als ich dachte.«
Der Tag war wunderschön. Seine Zuversicht kehrte zurück, sie verbrachten die Zeit damit, Händchen zu halten und durch die fröhliche Menge im Park zu bummeln. Sie spielten Lotteriespiele. Von Zeit zu Zeit sah er ihr tief in die Augen und dachte bei sich: Ich weiß, wir sind dabei, uns zu verlieben, nicht wahr? Und sie lächelte, doch sie wandte den Kopf ab, als würde es ihr einen schmerzlichen Stich geben. Natürlich hing ihr das mit dem anderen Mann noch nach. Nestor hielt sich auf Distanz, blieb still, aber immer, wenn er den »Vorfall an diesem Tag« erwähnte, sagte sie: »Denk nicht einmal an diesen Kerl, er war so ein cabrón.« Warum aber dann der wehmütige Blick in ihren Augen? »Komm«, und sie nahm ihn an der Hand, »wir wollen uns amüsieren.«
Am Abend saßen sie knutschend draußen auf einem Pier am Meer, aus seiner Penisspitze quollen Samentränen. Er fand nichts dabei, daß sie sich ihm so leicht überließ, obwohl alte Damen ihnen scheele Blicke zuwarfen. Er dachte, daß sie mich so wild küßt, kommt daher, daß wir verliebt sind. Warum hielt sie nur die Augen so fest geschlossen, als wäre er gar nicht da? Zwei Wochen lang sahen sie sich jeden Tag. Er ging zu ihr nach Hause, wo sie ein Zimmer bei einer Frau gemietet hatte, und sie zogen los auf die Straße, er beim Gehen federnd vor Beschwingtheit. Ihre Liebesaffäre war bald bei gegenseitiger Masturbation an Gassenmauern und in Kinos angelangt, und das führte unausweichlich zum Vollzug dieser Liebe in einem Zimmer am Hafen voll blauen Lichts, auf einem Bett weiß wie der Sand am Strand, in der Wohnung eines Freundes.
An diesem Tag dachte er zum ersten Mal daran, einen canción über seine Liebe zu ihr zu schreiben. Gesättigt und wie im
Paradies, dachte sich der jüngere Mambo King, der niemals zuvor wirklich eine Frau gekannt hatte, folgende Textzeile aus: »Wenn das Verlangen eines Mannes Seele überkommt, ist er für alles in der Welt verloren, außer für die Liebe...«
Monatelang war die Liebe für ihn und Maria wie ein Gelage. Sie gingen an einen menschenleeren Flecken Strand außerhalb von Havanna oder in die Wohnung von Nestors Freund am Hafen. Er brachte sie nie in das solar mit, das er mit seinem älteren Bruder teilte, weil er das Gefühl hatte, daß die Fröhlichkeit seiner Liebe schmerzlich für Cesar sein würde, der Frau und Kind verlassen hatte und darunter litt... Und außerdem: Was, wenn Cesar sie nicht mochte? Sein Bruder, sein Herz, sein Blut. In jenen Tagen stürmte Nestor die Treppe zu ihrem solar hinauf, seine Schuhe mit den Blockabsätzen klapperten über den Boden, vorbei an Bildern von sich und Maria, wie sie sich im Halbdunkel küßten. Sie taten es auf dem Bett und manchmal auf dem Boden
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