Höhlenangst
Frauensolidarität. Männer sind alle Schweine. Männer haben immer Unrecht. Männer lügen. Ihr macht es euch verdammt leicht, weißt du das?«
»Wer ›ihr‹?«, fragte ich. »Wie nennt man eigentlich diesen Plural? Der Pluralis majestatis ist es nicht, der Plural der Erhabenheit. Vielleicht der Pluralis demutigensis generalis? Der Plural der geringschätzigen Verallgemeinerung? Leider habe ich nie Latein in der Schule gehabt.«
»Entschuldige, Lisa. Ich bin etwas –«
»Gib doch mal bitte Patek Philippe ein«, unterbrach ich ihn.
Dazu musste er wenigstens beide Hände benutzen. »Habe ich Janette vorhin richtig verstanden?«, fragte er dabei. »Sie haben heute Abend deinen Freund verhaftet, diesen Staatsanwalt?«
»Na ja, Freund …«
»Dir hat wohl ein Vater gefehlt, hm?«
»Und eine Schwester und ein Bruder.«
Florian lachte. »Mit dir hätte es ein Psychotherapeut ziemlich schwer.«
Etwas Ähnliches hatte mir heute auch schon eine Schulrektorin zu verstehen gegeben. Das sollte mir zu denken geben.
»Mit dir aber auch«, antwortete ich.
»Ich habe eine Lehranalyse hinter mir. Ich bin austhe rapiert. Ich bin faul, aber ehrgeizig, suche immer den bequemsten Weg, bin sportsüchtig, träume davon, dass es mir eine Nutte umsonst besorgt, weil sie mich so toll findet, aber …« Er blickte zu mir hoch. »Aber ich bin kein Krimineller. Dafür habe ich zu viel Schiss.«
Hatte Richard mir dieses Gespräch mit ihm verboten oder ein anderes? Das über Winnie, über die Leiche oder über den Truppenübungsplatz, oder alle?
»Okay«, sagte ich. »Aber du hast von der IPE eine Provision gekriegt im Deal der Natra mit Ivan Räffle?«
»Wie kommst du darauf?«
»Janette hat dir doch an meinem ersten Abend bei euch in diesem Zusammenhang etwas vorgeworfen, das mit Geld zu tun hat.«
»Ach ja!« Florian faltete beide Hände zwischen seinen nackten Schenkeln und drehte sich mit dem Stuhl mir zu. »Janette wirft mir vor, dass ich unsere Ideale verrate, oder vielmehr meine. Die von der Presse haben immer gut reden. Aber reiner Naturschutz ist eben nicht zu ma chen. Immerhin hatte ich die Idee, wie man verhin dern kann, dass die Litauer zum Zuge kommen, und unsere regionalen Firmen die Aufträge kriegen. Man akzeptiert einfach, dass die Kampfmittelbeseitigung Sa che der Natra ist und nicht des Finanz- oder Verteidigungsministeriums. Und dann stellt man entsprechende Bedingungen an die Bewerber. Dass Räffle das für eine Bewerbung nutzt, die alles abdeckt, konnte ich nicht ah nen.«
»Und blöd für Räffle, dass sein Sprengmittelingenieur jetzt tot ist. Aber vielleicht haben ja die Litauer einen guten Tipp bekommen und ihn beseitigen lassen.«
Florian senkte den Blick auf seine Hände. Als er mich wieder anschaute, waren seine Pupillen ziemlich groß. »Wir leben doch nicht im Wilden Westen. Außerdem braucht Räffle sich nur einen neuen Sprengmittelingeni eur zu suchen. Sechs gut ausgebildete Mitarbeiter hat er schon.«
Damit fing er an, die Seiten mit den Uhren anzuklicken, die schon seit einer Weile auf Öffnung warteten.
»Stopp!«, sagte ich.
Den Bildschirm füllte eine rotgoldene Uhr mit weißem Zifferblatt, Sekundenfeld und Krokoarmband. »Patek Philippe, Calatrava 5196,10.500 Euro« stand darunter.
»Gott! So viel kostet die!«, entfuhr es mir.
Florians Blick flatterte müde und desinteressiert. »Wer’s nötig hat!«, bemerkte er. »War’s das, was du morgens um drei unbedingt im Internet nachschauen musstest? Ich würde dann jetzt nämlich gern wieder ins Bett.« Der Mauszeiger sauste zum Kreuz rechts oben, und der Internetexplorer fiel in sich zusammen. »Und wenn du wieder einmal etwas von mir wissen willst, Lisa, dann frag mich gleich, statt in meinen Sachen herumzuwühlen, okay?«
Wir trennten uns im Flur und zogen uns in unsere jeweiligen warmen Betten zurück. Ich aktivierte mein Handy. Auch ich hatte meine Kontakte zu Leuten, über die ich mal einen Artikel geschrieben hatte. Deshalb kannte ich einen Hacker mit Tarnnamen Wagner. Für einen Anruf war es zu früh. Ich simste ihm die Frage, ob er in Florians Computerfunknetz einbrechen könne. Anschließend löschte ich die SMS aus meiner Ablage.
Dann lag ich flach unter der Decke, lauschte der ersten Amsel und dachte über das Rätsel des Einschlafens nach. Da meldete sich eine Unstimmigkeit in meinem Hirn. Ich langte erneut nach dem Handy auf dem Nachttisch neben dem Kleinwagen in Form einer Uhr. Das Display knallte seine Lichtorgel in
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