Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
den Kopf.
Und wieder empfand er so etwas wie grimmige Bewunderung für diese junge Frau. Sie sah gut aus, das sagte ihm sein kalter Verstand, obwohl er für solche Dinge keinen allzu großen Sinn besaß. Und sie war mutig, gerissen und hochintelligent. Eine Mischung, die ihn unwillkürlich faszinierte. Für Momente gab er sich (zum wiederholten Male) der Vorstellung hin, wie es wäre, sie an seiner Seite zu haben. Er hatte eine Schwäche für solche Leute. Dann lächelte er kalt. Sie würde ihm eher die Augen auskratzen, als sich auch nur eine Sekunde mit diesem Gedanken zu beschäftigen. Aber dennoch - vielleicht würde es ja auch in dieser Angelegenheit eine Überraschung geben. Sie war zwar klug, aber es war doch sehr die Frage, ob sie sich mit ihm messen konnte. Er hatte nämlich einen gewaltigen Vorteil ihr gegenüber - er besaß keinerlei Skrupel.
Abermals war er vor sein Fenster getreten und blickte hinaus aufs Meer. Er überraschte sich selbst wieder einmal damit. Zunehmend überkam ihn das Bedürfnis, offene Weite zu erblicken und zu fühlen. Seit er sich dieses verdammten Sardins entledigt hatte, nahm der Druck stetig zu, der auf seinen Schultern lastete -womit er einfach nicht gerechnet hatte.
Wenn es ihm nicht bald gelang, sich diese Adeptin vom Hals zu schaffen, dann lief er Gefahr, zu dem entscheidenden Zeitpunkt, da er gegen die Drakken anzutreten hatte, größeren Schwierigkeiten aus einer zusätzlichen Richtung ausgesetzt zu sein. Das Bündel der Maßnahmen, die er sich gegen sie ausgedacht und das er in die Wege geleitet hatte, war durchaus gewitzt und mochte seine Wirkung tun. Aber er fürchtete dennoch, nicht zur rechten Zeit damit fertig zu werden. Wenn er nur wüsste, was die Drakken im Sinn hatten und worum es sich bei diesem rätselhaften Okryll handelte!
Für lange Zeit starrte er wieder hinaus aufs Meer und tausendfache Gedanken strömten durch sein Hirn. Wiederholt wünschte er sich, einfach nur mehr Zeit zum Nachdenken zu haben. Dann aber war die halbe Stunde schon vorbei und die Männer, die er herbestellt hatte, fanden sich bei ihm ein.
Großmeister Karras war ein kleiner Mann, zu dem sein Titel nicht recht passen wollte. Das lag aber nur an seiner unscheinbaren Gestalt und seiner Körpergröße. Karras war bisher der Einzige gewesen, der so etwas wie eine Kampftruppe innerhalb der Bruderschaft angeführt hatte. Er war einer der bestausgebildeten Magier der Bruderschaft - sein blankes Wissen über die Spielarten und Tricks der Rohen Magie ging weit über das seines Hohen Meisters hinaus, das wusste selbst Chast. Wenngleich Karras' magisches Potenzial geringer war. Karras war früher ein ergebener Untertan von Sardin gewesen, und Chast war lange Zeit unentschlossen gewesen, Karras auf seinem Posten zu belassen. Bis er herausgefunden hatte, dass der kleine, graue Mann, der nun vor ihm stand, ein Magier aus Eitelkeit war und dass seine Ergebenheit zu Sardin nur daher rührte, dass er dessen überwältigende magische Kraft ehrfurchtsvoll bewundert hatte. Chast hatte ihm eines Tages eine Kostprobe seiner eigenen Kräfte gegeben. Seitdem war Karras sein ergebener Untertan.
Er war der Kommandant einer Gruppe von zehn oder zwölf ausgesuchten Kampfmagiern, die damals leider nicht dabei gewesen waren, als es in Unifar zur entscheidenden Schlacht zwischen der Bruderschaft und der kleinen Gruppe der cambrischen Magier gekommen war. Karras und seine Leute hatten sich in Hegmafor aufgehalten. Wäre er in Unifar gewesen, wäre der Kampf damals wahrscheinlich anders verlaufen.
Jetzt, da die Männer, die Chast herbefohlen hatte, vor ihm standen, machte Rasnor eine geradezu erbärmliche Figur. Seine Haltung verriet schon, dass er sich nach Kräften aufblies, um der persönlichen Ausstrahlung der anderen Anwesenden standhalten zu können. Valerians Gesichtsausdruck spiegelte Verachtung für den neuen Führer des Ordens von Yoor. Quendras strahlte allein schon so viel Überlegenheit aus, dass Rasnor daneben wie ein Witzbild wirkte. Aber jetzt war der Moment gekommen, einen weiteren Schachzug zu tun. Chast war gespannt, ob er die gewünschte Wirkung erzielen konnte. Er wandte sich als Erstes an Rasnor. Nun kam es darauf an.
»Hast du die beiden Soldaten genau verhört?«, fragte er.
Rasnor bestätigte.
Chast atmete innerlich auf. Damit hatte Rasnor sich selbst und seinem Meister einen großen Gefallen getan. »Gut«, sagte Chast knapp, ohne seine Erleichterung zu zeigen. Er blickte in die Runde.
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