Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
eigentlich klar sein, dass ich noch am Leben bin. Ich verstehe das alles nicht ganz ...«
»Ihr müsst verschwinden!«, sagte Vater fest. »Alle beide!« Mutter starrte entsetzt zu ihm auf und löste sich von ihm.
»Miram«, fuhr er fort, »du musst jetzt tapfer sein, hörst du? Leandra und Hellami sind hier nicht sicher! Und sie gefährden uns dazu! Wenn die Kerle herausgefunden haben, dass Leandra von hier stammt, dann werden sie erscheinen und das Haus auf den Kopf stellen. Wenn sie eins von den Mädchen finden - dann sind wir dran! Allesamt!«
Mutter hörte nicht auf ihn. Sie ging ein paar Schritte zurück und rief: »Du willst, dass sie in die Hauptstadt gehen - und dort einen Aufstand anzetteln! Das ist doch das Gleiche, was ihr hier tun wollt! Verstehst du das denn nicht - sie werden uns alle einsperren und dann umbringen ...!«
Die Antwort auf ihren Gefühlsausbruch war ein heftiges Pochen an der Tür. Mutter fuhr zusammen.
Leandra sprang auf und peilte, ohne direkt ans Fenster zu gehen, durch die Scheibe hinaus. Der finstere Kerl aus Tennos Laden stand draußen und noch ein paar andere Männer.
»Verdammt!«, flüsterte sie. »Sie sind schon da!«
Vater eilte herbei. »Ich werde sie aufhalten. Verschwinde durch das Fenster in deinem Zimmer - und nimm dann Hellami mit. Bei Einbruch der Dämmerung treffen wir uns am Kinderfelsen, unten am Fluss, verstanden? Ich werde dir alles bringen, was du brauchst. Los, zisch ab, Mädchen!«
Vaters Entschlossenheit ließ kein weiteres Zaudern aufkommen. Während sie zu Mutter eilte, kam auch Cathryn mit feuchten Augen herbei. Wieder ertönte ein heftiges Pochen an der Tür.
Leandra umarmte sie beide. »Ich schwöre euch, dass ich wiederkommen werde! Heil und gesund, hört ihr?«
Mutter war in Tränen aufgelöst. Leandra drückte sie kräftig an sich, ließ sie dann los und umarmte nochmals ihre kleine Schwester. »Pass auf deine Mam auf, Trinchen, ja? Und hab keine Angst. Ich komme wieder!«
Dann eilte sie zusammen mit Vater aus der Küchentür hinaus auf den Flur. Während er ihr noch zuwinkte und auf die Haustür zuging, eilte sie leise nach hinten in ihr Zimmer. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, hörte sie wieder ein wildes Pochen an der Haustür und dann Stimmen - Vater hatte geöffnet. Jetzt war höchste Eile geboten.
Zeit, Sachen zusammenzupacken, hatte sie nicht mehr. Aber eins ließ sie sich nicht nehmen - sie eilte zu ihrem Schrank, öffnete die unterste Lade und zog von ganz hinten ihren kostbarsten Schatz hervor. Es war ein kleines Büchlein, das sie sich von Victor nach ihrer Rückkehr nach Angadoor aus Munuels Haus hatte holen lassen. Es war in ein Leintuch eingewickelt und sie schob es eilig unter ihre Jacke und prüfte, ob es auch an seinem Platz bleiben würde, wenn sie genötigt war, über Stock und Stein zu rennen oder irgendwo unter Büsche zu kriechen.
Als sie die Lade wieder zuschob, hörte sie stampfende Schritte auf dem Flur und Vaters laute, protestierende Stimme. Mit fünf Schritten war sie beim Fenster, riss es auf und war schon mit einem Satz draußen. Keine Sekunde zu früh.
Während sie draußen in die Knie ging und sich an die Hauswand duckte, hörte sie, wie drinnen die Tür aufgestoßen wurde und offenbar mehrere Personen hereinpolterten.
»Wessen Zimmer ist das?«, bellte drinnen jemand, und es war nicht die Stimme des Kerls, den sie bei Tenno getroffen hatte. Es gab da noch jemanden, offenbar einen, der ein wenig mehr im Kopf hatte und ein wenig schneller Verbindungen knüpfen konnte. Schlimm für sie.
Doch dann achtete sie nicht länger auf das, was drinnen geschah, denn plötzlich näherte sich eine neue Gefahr. Ein dicker Mann umrundete die Hausecke und stampfte auf die Wiese hinter dem Haus. Innerhalb eines Augenblicks hatte Leandra erfasst, dass er ein weiterer Duuma-Mann sein musste, denn sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen und er trug die gleichen dunklen Kleider wie seine Gefährten.
Noch hatte er sie nicht erblickt. Seine Blicke schweiften über die Wiese, trafen den Holzstadel drüben bei den Bäumen, in dem Hellami sitzen musste, und bewegten sich weiter in Leandras Richtung. In wenigen Augenblicken aber würde er sie sehen und dann wäre ihr Fluchtplan wahrscheinlich gescheitert.
Es gab nur noch eins, was sie tun konnte, und das tat sie.
Die Entscheidung lag allein darin, ihn zu töten oder ihn am Leben zu lassen. Ohne dass sie weiter darüber nachdachte, sah sie, dass sie eine Möglichkeit
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