Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
überhaupt mitbekommen hat. Und ... irgendwie war er auch sehr zärtlich. Obwohl er wahrscheinlich völlig weggetreten war.« Sie seufzte und hob entschuldigend die Achseln. »Denkt über mich, was ihr wollt, aber so ist es gewesen. Und ... na ja, es war nicht einmal das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Und vor allem: Ich habe es freiwillig getan! Bald darauf bin ich wieder gegangen. Chast hat das alles nie herausbekommen.«
»Aber ...«, fragte Leandra, »hat Chast dich denn dann später noch mit Gewalt ...?«
Sie zuckte die Schultern in der Art einer Bestätigung. »Es muss wohl so gewesen sein. Ich habe es nicht mitbekommen - wenn, dann war es zweifellos mit Hilfe dieses Duftöls.«
Leandra verzog angewidert das Gesicht.
Alina legte ihr die Hand auf die Schulter. »Dass ich dabei weggetreten war, macht mir die Sache leichter, glaub mir! Ich kann mich nicht daran erinnern, ihn je auf mir gespürt zu haben. Das ist eine echte Erleichterung!«
Leandra seufzte schwer.
»Und dann hast du die ganze Zeit nicht gewusst«, folgerte Yo, »ob dieses Kind nun von Chast ist oder dem fremden Mann ...?«
Alina schüttelte den Kopf. »Nein. Bis heute. Ihr könnt mir glauben, dass dies die größte Erleichterung meines Lebens ist. Aber ich bin sicher. Ich würde es wissen, wenn dieses Kind das Kind von Chast wäre. Ich habe noch das Gesicht dieses fremden Mannes im Sinn. Und ich kann euch schwören, dass er der Vater ist!«
Alle Anwesenden stießen erleichtert die Luft aus. So befremdlich diese Geschichte auch war - so glücklich war nun die Wendung.
Yo setzte sich zu Alina und legte ihr den Arm um die Schulter. »Du bist ein gerissenes Miststück!«, sagte sie. »Darf ich deine Freundin sein?«
Alinas Gesicht, das eben noch Yo freudig angegrinst hatte, versteinerte sich von einem Augenblick auf den anderen.
Leandra wunderte sich zuerst, dass Alina Yos Anspielung so ernst nahm, aber dann spürte sie plötzlich, dass es etwas ganz anderes war. Sie fühlte einen Schauer auf ihrem Rücken - einen Schauer, den sie nur dann verspürte, wenn sich irgendetwas ganz besonders Grässliches von hinten anschlich.
Mit einem Mal schrillten alle Alarmglocken in ihrem Kopf. Alina saß im Blickwinkel zum Eingang der Grotte und Leandra fuhr herum.
»Hübsch!«, sagte Chast freundlich und baute sich mit verschränkten Armen im Eingang auf. »Wirklich - sehr hübsch! Da haben wir ja alle beisammen. Mein trautes Weib, den großen Meister Fujima, noch ein paar Magier und sogar ... Thorim! Den neuen Anführer meiner Kampfmagier! Es ist nicht zu fassen!«
Dann wandte er sich ganz formell Leandra zu. »Und nicht zuletzt die liebe Adeptin Leandra!«
Alle hatten sich erhoben, selbst Alina, die jetzt mit ihrem Marie im Arm dastand. Niemand erwiderte etwas.
Chast, offenbar die Selbstsicherheit in Person, nahm die Arme wieder herunter, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und begann, langsam hin und her zu spazieren. Hinter ihm wurde ein weiterer Mann sichtbar, aber nur einer. Sie waren immerhin zu siebt, sah man von dem Neugeborenen und dem bewusstlosen Hamas ab, und fünf von ihnen waren Magier.
»Da habt ihr mich aber schön verschaukelt«, sagte Chast gutmütig und drohte ihnen mit dem Finger. »Das Kind ist also gar nicht von mir. Wie nett. Dann habe ich auch gar kein Anrecht auf den Shabibsthron, was?«
Noch immer antwortete niemand von ihnen. Jeder schien zu wissen, dass die kleinste Erwiderung die Lage kippen könnte, dass von einer Sekunde auf die andere dann hier ein vernichtender Orkan losbrechen würde. Leandra kam erst jetzt auf den Gedanken, nach dem Trivocum zu spüren.
Als sie ihr Inneres Auge öffnete, wäre sie vor Schreck beinahe einen Schritt zurückgetreten. Das Trivocum war nicht aufgerissen, wie sie es von den Bruderschaftsmagiern her kannte - nein, es war regelrecht zerfetzt. Über einen großen Bereich hinweg existierte es förmlich gar nicht mehr, und was sie dort schaute, war ein weiterer Schock: Ein zäher, schmutzig grau strahlender Brei wallte auf und ab, durchsetzt von fauligen Zusammenballungen stygischer Energien - eine wabernde Masse der erschreckendsten Sorte, die für jeden Cambrier so viel bedeutete wie der faulende Inhalt einer stinkenden Latrine für einen Heiler. Wenn Chast tatsächlich diese Energien hier entfesseln wollte, dann würde das ihn selbst das Leben kosten.
»Nun, das ist nicht weiter schlimm!«, fuhr Chast fort. »Es scheint mein Schicksal zu sein, dass ich meine Pläne nicht
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