Höhlenwelt-Saga 03 - Der dunkle Pakt
gegenüber einer Dorfbevölkerung an einem jungen, unschuldigen Mädchen zu statuieren, dann konnte er, und das war Victors ehrliche Meinung, nicht mehr ganz dicht sein.
»Ich bin dann zu Jerik gegangen«, sagte Roya und wischte sich die Augen trocken. »Er lebte als Einsiedler nördlich von Minoor, mitten im Wald. Er gab mir Trost. Meine Eltern wussten nichts von ihm, nur Hellami.«
Victor hatte Jasmin nicht gekannt. Aber er wusste, dass Roya ihre große Schwester sehr geliebt hatte. Sie saß neben ihm und starrte mit noch immer tränenfeuchten Augen in die Ferne. Er hielt weiterhin ihre Hand. Über ihnen schwebte dieses groteske Erlebnis, das sie erst vor wenigen Minuten mit einem so genannten Gott gehabt hatten. Nun, immerhin hatte Sardin diese Bezeichnung zuerst abgelehnt. Aber Victor verstand nun, warum sich Roya mit solcher Angriffslust auf ein geistiges Duell mit Sardin eingelassen hatte. Es mochte sein, dass dieser Gott Saan immer das Ziel ihres ohnmächtigen Zorns über die Grabrede gewesen war, dass sie die grausame Bedeutung der Predigt des Saani-Priesters nie als dessen ganz persönliche Schandtat betrachtet, sondern den Gott Saan im Hintergrund hämisch grinsend gesehen hatte. Nun, dem Gott-Sein auf diese Weise einen heftigen und verächtlichen Tritt verpasst zu haben musste für sie ein Fest gewesen sein. Victor drückte ihre Hand fester und sie blickte auf und lehnte sich dann dankbar an ihn. Sie spürte, dass er sie verstanden hatte.
Sie blieb nicht lange sitzen. »Komm, großer Krieger«, sagte sie. »Wir müssen los. So schnell es geht nach Savalgor zurück und Leandra holen. Ich fürchte, er meint es ernst. Er will den Pakt nur ihr geben.«
Auch Victor erhob sich. »Glaubst du ihm? Dass Leandra irgendwas über ihn weiß und er sie deswegen wieder sehen will?«
Roya dachte eine Weile nach. Dann schüttelte sie den Kopf. »Eigentlich nicht. Irgendetwas führt er im Schilde. Aber leider...«
Er nickte verstehend. »Ja, ich weiß. Wir haben kaum eine Wahl. Oder besser: Leandra hat keine. Immerhin können wir jetzt endlich fort von hier.«
Sie hob die Schultern. »Wir werden wiederkommen müssen. Oder willst du Leandra allein hierher schicken?«
»Nein, natürlich nicht. Komm, lass uns gehen.«
Hand in Hand marschierten sie den Sims entlang. Es waren zweihundert Schritte bis zum Eingang in den Tunnel. Victor schnaufte leise. Viele unterschiedliche Gefühle stürmten auf ihn ein. Allein Royas Hand zu halten war eines, das ihn bewegte. Was erwartete sie als Nächstes? Eine Rückreise nach Savalgor, ein Wiedersehen mit Leandra, um dann abermals mit den Drachen hierher zurückzukehren? Oder sollte es wieder eine unerwartete Wende geben? Der unangenehme Gedanke an ihre Verfolger beschlich ihn, aber wenn sie sobald wie möglich zurückflogen, hatten sie gute Aussichten, wenigstens dieser Gefahr zu entgehen.
Was dann aber tatsächlich als Nächstes geschah, damit hatte keiner von ihnen beiden gerechnet.
Sie liefen, immer noch Hand in Hand, über den Sims zurück zum Tunnel, und Victor starrte dabei nachdenklich auf den Boden vor sich, als er spürte, dass Roya langsamer wurde und ihn an der Hand zurückhielt. Er blickte fragend zu ihr auf.
»Bei den Kräften...!«, sagte sie. »Was ist das?«
Sie hob den Arm und deutete ostwärts über die Ebene hinaus, in die entgegengesetzte Richtung von Hammagor, wo sich, weit in der Ferne, eine knorrige Gruppe von Stützpfeilern in den grauen Wolkenhimmel bohrte. Er starrte in die angegebene Richtung, konnte aber zuerst nichts Besonderes entdecken. Noch einmal sah er fragend zu Roya, aber ihr Gesicht spiegelte inzwischen Fassungslosigkeit. Verwirrt blickte er zu den Stützpfeilern.
Diesmal sah er etwas, aber er erkannte es zuerst nur daran, dass sich etwas verändert hatte. Er kniff die Augen zusammen... und dann kam es wie ein plötzlicher Schock über ihn. Dort bewegte sich ein riesenhaftes Gebilde zwischen den Stützpfeilern hindurch. So langsam, dass man es kaum wahrnahm. Er und Roya standen wie gebannt und starrten in die Ferne.
Es handelte sich um ein gewaltig großes Ding, flach und lang gestreckt und fast so grau wie der Himmel über Noor. Zwischen den Pfeilern war nur ein Teil davon zu sehen - und kurz darauf war das ganze, riesige Ding hinter einer großen Felsbarriere verschwunden.
»Bei den Kräften - was war denn das?«, keuchte Victor.
Roya antwortete nicht. Sie starrte mit gerunzelter Stirn in die Ferne, ließ Victors Hand los und trat noch
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