Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
gestorben war. Er saß jedoch da wie jemand, der ganz in sich versunken etwas liest. Dann nahmen wir uns ein Herz und legten den Toten zur Erde nieder. Wir untersuchten seinen Leichnam, und ich fand in einer seiner Taschen einige Schriftstücke, die Auskunft darüber gaben, wer er war.«
Jockum und Ötzli sahen ihn erwartungsvoll an. »Nun sag schon, wer war der Tote?«
Munuel kaute für einen Moment auf der Unterlippe. »Es war der große Lothse.«
Die beiden Magier stöhnten auf. »Lothse? Der Direktor der Großen Stygischen Schule?«
Munuel nickte. »Ja. Ich setzte mich vor Überraschung beinahe auf den Hosenboden. Und Gelmard, mein alter Meister, auch.«
»Bei den Kräften!«, rief Jockum aus. »Das Schicksal des Lothse ist ein unerklärliches Rätsel geblieben! Die Gilde forschte jahrelang nach ihm und konnte nie eine Spur entdecken! Warum hast du das niemals gemeldet?«
»Es gab einen sehr wichtigen Grund«, sagte Munuel.
»Dieses Buch!«, sagte Ötzli mit leiser Stimme.
Munuel nickte abermals. »Ja, du hast vollkommen Recht. Es war das Buch.«
»Was hast du damit gemacht? Hast du es gelesen?«
Munuel wirkte sehr bedrückt. Seine Freunde spürten, dass er im Begriff stand, ein Geheimnis preiszugeben, das er seit über drei Jahrzehnten mit sich herumtrug. »Ich habe es nur teilweise gelesen. Sein Inhalt war ... nun, ich finde keine passenden Worte dafür ... gefährlich, könnte man sagen, und höchst erstaunlich.«
Lange herrschte tiefes Schweigen im Zimmer. Den beiden Zuhörern war klar, dass nun ein sehr brisantes Geheimnis ans Licht kommen würde, und sie hatten auch eine Ahnung, welcher Natur es sein könnte, denn ihnen waren die Geschehnisse der damaligen Zeit noch durchaus geläufig.
»Nachdem der Lothse verschwand«, stellte Jockum fest, »übernahm in Hegmafor ein neues Direktorat die Leitung der Großen Stygischen Schule.«
»Ja, mein Freund. Ich habe jahrelang überhaupt keinen Verdacht gehegt, obwohl ich das Buch besaß. Das Buch und den...«
»Den Yhalmudt!«
Munuel blickte auf und sah seine Freunde schuldbewusst an.
»Du hast den Yhalmudt bei Lothse gefunden?« Ötzli sah seinen alten Freund entgeistert an.
Munuel nickte.
»Warum hast du nie davon erzählt?«, rief Jockum und hob die Arme. Nach seiner alten Angewohnheit stand er auf und begann im Zimmer umherzuwandern.
»Du willst uns sagen, dass der Lothse aus Hegmafor vertrieben wurde, nicht wahr?«, fragte Ötzli, der für seinen messerscharfen Verstand berühmt war. »Dass es irgendwelche geheimnisvollen finsteren Kräfte waren, die ihn vor über dreißig Jahren von dort verjagten.«
Munuel machte eine abwehrende Geste. »Dieser Gedanke kam mir erst Jahre später. Um genau zu sein, er erhärtete sich erst in den letzten Monaten und reifte vollends, als Leandra ihren Ausrutscher beging. Plötzlich wurde mir klar, dass es damals noch einen anderen Grund gegeben haben musste, warum der Lothse aus Hegmafor verschwand. Ich besaß das Buch und den Yhalmudt, und ich rätselte jahrelang herum, was der Große Lothse mit solcher Magie zu schaffen hatte!«
»Was steht denn in diesem Buch?«
Munuel zögerte abermals. Seine Beichte begann sich zu einem schicksalhaften Bekenntnis auszuwachsen.
»Es handelt sich um eine uns fremde Form der Elementarmagie. Ihr wisst ja, dass die Elementarmagie im Gegensatz zu einigen andern Magieformen keine diesseitigen Energien ins Stygium fließen lassen kann. Wir können nur das Trivocum öffnen und mit unserer Willenskraft die Stygischen Energien hierher ins Diesseits fließen lassen.«
»Ja doch, das wissen wir alles«, sagte Jockum ungeduldig. »Was ist nun mit dem Buch?« >> Ötzli ließ sich eine Mutmaßung nicht nehmen. »Lothse hatte eine Möglichkeit gefunden, mittels derer die Elementarmagie auch diesseitige Energien ins Stygium zu lenken vermag, nicht wahr?«
Munuel bejahte, wieder einmal erstaunt über den scharfen Verstand seines alten Freundes. »Ich glaubte schon damals nicht«, sagte er, »dass dies Louises Idee war. Das Büchlein war steinalt. Aber du hast Recht, es beschrieb einen Weg, mit dessen Hilfe dies zu bewerkstelligen ist.«
Ötzli atmete schwer. »Du sprichst nicht einmal mehr in der Möglichkeitsform, Munuel. Also hast du es ausprobiert und es hat funktioniert!«
Munuel nickte. »Ja, das stimmt.«
Jockum wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Munuel hatte damit gegen alle Gesetze der Gilde verstoßen und zwar auf die tiefgreifendste Art, die man sich nur vorstellen
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