Höhlenwelt-Saga 5 - Die Schwestern des Windes
einem Drakkenschiff nach Hegmafor zu fliegen wäre eine große Dummheit gewesen, selbst bei Nacht. Die alte Abtei lag viel zu tief im Landesinneren; ein Flug, wann auch immer, hätte bemerkt werden können. Um keinen Preis durfte jetzt die Aufmerksamkeit seiner Feinde auf diesen Ort gelenkt werden.
Drei Tage lang war er zügig geritten, und nun tauchten jenseits der knorrigen Holzbrücke über die Wildbachschlucht wieder die schwarzgrauen, trutzigen Mauern der alten Abtei auf. Dass es dort jene Tiefen gab, wie er sie kürzlich erblickt hatte, war zuvor unbekannt gewesen. Er war aufs Äußerste gespannt, was er vorfinden würde, wenn er noch tiefer grub.
Die alte Holzbrücke knarrte, als sein Gaul mit klappernden Hufen darüber ritt. Die Abtei, die sich auf ihrer von dem Wildbach umflossenen Felskuppe erhob, war von ansteigenden Bergflanken, steilen Klippen und knorrigen Felsformationen umgeben. Die Mauern waren ungewöhnlich hoch für einen Ort der Frömmigkeit, Rasnor schätzte sie auf sechzehn bis zwanzig Ellen. Rechts hinter der ihm zugewandten südlichen Mauer stand das Zeughaus mit seinem schiefergedeckten Dach. Der Bau wirkte so alt, als wäre er mitsamt dem unter dem Dach hervorschauenden Balkenwerk versteinert. Im Hintergrund erhob sich das massige Haupthaus, dessen Östlicher Teil vom Abteitempel mit seinem grauen Kuppeldach verdeckt wurde. Ganz links hingegen, westlich des seltsamen, steinernen Kastens der Bibliothek und der breiten Holzbauten der Stallungen, erhob sich am westlichsten Punkt der knorrige Turm des Sanctums. Hegmafor war wahrlich ein abweisender Ort, jedoch von einer gewissen wild-romantischen Schönheit. Nur selten verirrte sich ein Wanderer hierher. Als er sich der hohen Pforte näherte, einem großen Flügeltor, öffnete sich eine kleine Nebentür und zwei Mönche kamen heraus. Rasnor erkannte Prior Septos, der andere schien ein junger Mann, ein Novize zu sein. Septos kam auf Rasnor zugeeilt, während der andere am Tor stehen blieb. »Hoher Meister«, rief Septos, »wie gut, dass Ihr kommt!«
Rasnor ließ sich vom Sattel herabrutschen. »Septos. Was gibt es denn?«
Der Prior blieb vor ihm stehen. »Es ist furchtbar. Kurz nach Eurer Abreise haben die Brüder den...« Er unterbrach sich und sah nach dem Novizen, der beim Tor stehen geblieben war. Doch der schien außer Hörweite zu sein, und Septos wandte sich wieder zu Rasnor. »Die Alchimistenbrüder haben den Sarkophag wieder geöffnet«, fuhr er mit leiser Stimme fort. »Ihr wisst schon... um eine neue Rezeptur für die Einbalsamierung des Leichnams auszuprobieren. Seitdem ist da unten die Hölle los. Ich weiß nicht, welches Phänomen dort zugange ist. So etwas habe ich noch nie erlebt, Hoher Meister!«
Ein unangenehmes Gefühl kroch Rasnors Rücken herauf. Er hatte eigentlich gehofft, dass sich die seltsamen Kräfte in Chasts totem Körper beruhigt hätten. Stattdessen kam nun diese Nachricht. Er hatte keine Vorstellung, welcher Dämon sich in der Leiche seines Vorgängers festgesetzt hatte. »Keine Sorge«, sagte er, den Gelassenen spielend. »Ich werde mir das ansehen.«
Septos seufzte lautstark, er schien sehr erleichtert. »Wunderbar«, seufzte er. Seine Miene wurde wieder geschäftig. »Ich hatte Euch gar nicht erwartet, Hoher Meister. Wart Ihr zufrieden mit den Männern, die ich Euch schickte?«
Rasnor nickte und klopfte Septos, der fast einen Kopf größer war als er, auf die Schulter. »Ja, war ich. Und auch mit den Büchern, mein Bester. Derlei Literatur unterhält mich sehr. Deswegen bin ich auch hier. Ist es wahr, was du geschrieben hast – dass es hier noch immer einen der Wächter der Tiefe gibt?«
»O ja, Meister! Ein uralter Kerl, völlig verrückt... ich wage gar nicht daran zu denken, wie alt er sein mag. Er ist oben, im Turm.« Rasnor zog erstaunt die Brauen hoch. »Im Turm? Ich dachte...«
Septos hob eine Hand. »Schon mein Vorgänger hat ihn dort hinaufbringen lassen. Das muss an die fünfzehn Jahre her sein...«
»Fünfzehn Jahre?«, stieß Rasnor überrascht hervor. »Ja, Hoher Meister. Er wurde uns unheimlich, nachdem er seit Ewigkeiten irgendwo dort unten in den tiefsten Kellern gehockt hatte und den ganzen Tag nur den Kopf hin und her gewiegt und vor sich hin gebrabbelt hatte. Er isst so gut wie nichts und schläft fast nie. Wir wollten ihn aus den Kellern fort haben, aber wir haben ihn danach weiter versorgt. Wir wagten nicht, ihn einfach seinem Schicksal zu überlassen.« Wieder fühlte Rasnor
Weitere Kostenlose Bücher